rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitwirkungspflichten und Schätzungsbefugnis bei angeblichem Auslandskonto des Steuerpflichtigen
Leitsatz (redaktionell)
1. Zwar spricht eine allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass hohe Geldbeträge, wenn sie nicht alsbald benötigt werden, zins- und ertragsbringend angelegt werden. Dies allein begründet aber im Allgemeinen noch keine Schätzungsbefugnis des FA für den Ansatz von Kapitaleinkünften. Hinzukommen müssen vielmehr weitere Umstände, die nahelegen, dass derartige Beträge tatsächlich zinsbringend angelegt worden sind.
2. Die Finanzbehörden tragen für die Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestände der Einnahmeerzielung die objektive Beweislast. Daran ändert auch die in § 90 Abs. 2 AO den Steuerpflichtigen allgemein auferlegte erhöhte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nichts, wenn dem Finanzamt bereits auf der Stufe vorher ein zur Überzeugungsbildung des Gerichts ausreichender Nachweis für eine bestehende Geschäftsbeziehung des Steuerpflichtigen zu einer ausländischen Bank nicht gelungen ist.
3. Es besteht keine Verpflichtung eines Steuerpflichtigen, nachzuweisen, dass er im Ausland kein Konto unterhält.
4. Gibt es keinerlei tatsächliche Feststellungen oder anderweitige Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger ein ausländisches Depot zuzuordnen wäre und er hieraus nicht erklärte Kapitaleinkünfte erzielt hätte, so schließt es der Grundsatz „in dubio pro reo” aus, die gerichtliche Schätzung hinterzogener Steuern entsprechend den allgemeinen Grundsätzen im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten auf Wahrscheinlichkeitserwägungen, d.h. auf ein reduziertes Beweismaß zu stützen.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 90 Abs. 2, §§ 162, 370; FGO § 96 Abs. 1 S. 1; EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7
Tenor
Die geänderten Einkommensteuerbescheide 1997 bis 2006 vom 17.08.2009 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 09.03.2010 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Tatbestand
Der Kläger ist Personalleiter und seine Ehefrau Beamtin. Die gemeinsame Tochter B. ist am 11.01.1995 geboren. Der Kläger erhielt für den Verlust des Arbeitsplatzes im Jahr 1998 eine Abfindung in Höhe von 310.000 DM. Die Eheleute sind Eigentümer zweier vermieteter Eigentumswohnungen in C. und waren in den Streitjahren weiter an zwei Fondgesellschaften beteiligt. Sie erklärten für die Streitjahre inländische Einkünfte aus Kapitalvermögen weitgehend unterhalb der Freibeträge.
Der Beklagte erhielt am 21.08.2008 vom Finanzamt D. Informationen zu Anlegern der E. Bank. Diese stammten aus Kontobelegen, die der Staatsanwaltschaft F. im Rahmen eines beim Landgericht F. geführten Hauptverfahrens übergeben worden seien. Die Anschrift stamme aus den vorliegenden Kontobelegen, Geburtsdaten seien generell nicht aus den Kontobelegen ersichtlich. Bei den unter den Depotdaten ausgewiesenen Depotwerten, Marchzinsen und Summenwerten handele es sich um ganze Zahlen ohne Nachkommastellen. Weitergehende Angaben bezüglich der Zuordnung der Erträge zu speziellen Einkunftsarten und zur konkreten Versteuerung und hier insbesondere zum Marktzins, Zinssatz, zur Zinsberechnung und zum Zinszeitraum seien den Kontobelegen nicht zu entnehmen, so dass dazu keine genaueren Informationen erfolgen könnten.
Dem beigefügt war eine Übersicht Kundendaten mit den Personendaten A., G.-straße, H., weiter Depotdaten, Depotnummer und ZR Nummer ohne Angaben und folgende Angaben:
Kurse per 11/5 2002
bewertet per 11/5 2002
Depotwert 1.036.559
Marktzins: 35.263
Summe 1.071.822
Währung CHF.
Dem eigentlichen Depot-Ausdruck sind weiter das Kennwort „B.” sowie Depoteröffnung 20.04.1988 und als Kundenbetreuer I. zu entnehmen.
Die Unterlagen seien im Rahmen einer Hauptverhandlung wegen Erpressung der E. Bank vom Verteidiger als Konvolut übergeben worden. Die Auszüge seien bis 2003 durch einen in J. verurteilten ehemaligen Mitarbeiter/Kundenberater der E. Bank wahllos gefertigt worden. Wie die Unterlagen in die Hand des Angeklagten gelangten, habe bislang nicht aufgeklärt werden können. Der von der Staatsanwaltschaft F. Angeklagte habe die Bank mit der Drohung erpresst, die Daten an die deutschen Finanzbehörden zu verkaufen. In dem Zusammenhang seien mehr als 100 Selbstanzeigen von Anlegern bei der E. Bank erfolgt.
Mit Schreiben vom 21.11.2008 leitete das Finanzamt K. H. gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung der Einkommensteuer 2002-2006 ein. Dem Kläger wurde vorgehalten, nach vorliegendem Kontrollmaterial bei der E. Bank seit dem 20.04.1988 ein Depot (Nummer unbekannt, Kennwort: B.) unterhalten zu haben. Die aus diesen Kapitalanlagen erzielten Zinsen und Dividenden habe der Kläger ausweislich der Steuerakten in den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2002-2006 verschwiegen. Der Kläger wurde aufgefordert sich zum Tatvorwurf zu äußern sowie sämtliche, das o.g. und gegebenenfalls weitere Depots betreffende Unterlagen für die Jahre 1997-2006 vorzulegen. Der Kläger hat sich nicht zur Sache eingela...