Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässige Aufrechnung mit Vorsteuerüberschüssen aus der Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Berichtigung des Vorsteuerabzugs durch das Finanzamt im Voranmeldungszeitraum des Insolvenzantrags wegen der durch die Stellung des Insolvenzantrags eingetretenen Uneinbringlichkeit von Forderungen gegen den Insolvenzschuldner
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat das Finanzamt nach der Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber vor der tatsächlichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Vorsteuerabzug des jetzigen Gemeinschuldners für die vorangegangenen Voranmeldungszeiträume seit Beginn des Kalenderjahres im Schätzwege im Rahmen einer bestandskräftig gewordenen Steuerfestsetzung für den Voranmeldungszeitraum, in dem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden ist, wegen der durch die Stellung des Insolvenzantrags eingetretenen mutmaßlichen Zahlungsunfähigkeit des jetzigen Gemeinschuldners nach § 17 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 UStG berichtigt, so darf es zulässigerweise die hierbei errechnete Steuernachforderung gegen die Vorsteuerüberschüsse aufrechnen, die sich aus den anschließend abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen für die zwischen der Beantragung und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegenden Voranmeldungszeiträume ergeben.
2. Diese Aufrechnung wird nicht durch § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 InsO ausgeschlossen, da die Uneinbringlichkeit der gegen den Gemeinschuldner gerichteten Forderungen und die darauf zurückzuführende Korrektur des Vorsteuerabzugs des nunmehrigen Gemeinschuldners nach § 17 UStG nicht auf bewussten Willensbetätigungen des Gemeinschuldners, des Insolvenzverwalters oder eines Insolvenzgläubigers beruhen und das Finanzamt die Möglichkeit der Aufrechnung daher nicht durch eine „anfechtbare Rechtshandlung” im insolvenzrechtliche Sinne erlangt hat.
Normenkette
AO §§ 38, 218 Abs. 2, § 226 Abs. 1, 4; InsO § 130 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2, § 95 Abs. 1 S. 3, § 96 Abs. 1 Nrn. 1, 3; UStG § 13 Abs. 1 Nr. 1a, § 17 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nr. 1; BGB § 387
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der … GmbH … (im Folgenden: GmbH). Die GmbH befasste sich mit …. Das Stammkapital der GmbH wurde im Juli 2000 von 25.000 EUR auf 500.000 EUR, im Dezember 2000 auf 4 Mio. EUR, im April 2001 auf 4,5 Mio. EUR und im Juni 2001 auf 5 Mio. EUR erhöht. Aufgrund überdimensionierter Produktionseinrichtungen waren Modernisierungsmaßnahmen erforderlich, für die eine weitere Kapitalerhöhung und weitere Fremdmittel erforderlich waren. Nachdem weder Eigen- noch Fremdkapital erlangt werden konnten, wurde für die GmbH am 29. August 2001 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. Das Amtsgericht A ordnete mit Beschluss vom 31. August 2001 die vorläufige Verwaltung des Vermögens gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 Insolvenzverordnung – InsO – an und bestellte den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Aufgrund des Insolvenzgutachtens vom 27. Dezember 2001, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, wurde am 1. Januar 2002 um 8.00 Uhr das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Die GmbH erklärte in den monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen des Jahres 2001 stets höhere Vorsteuerbeträge aus Rechnungen anderer Unternehmer als abzuführende Umsatzsteuer aufgrund eigener Lieferungen und Leistungen. Die GmbH führte außerdem erhebliche steuerfreie Umsätze aus. Nach dem dem Gericht vorliegenden Umsatzsteuerüberwachungsbogen 2001 betrugen die Vorsteuern aus Rechnungen (Kz 66) – ohne entrichtete Einfuhrumsatzsteuer sowie ohne Vorsteuer aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen (Kz 61 sowie Kz 62) – in den Monaten Januar bis Juli 2001 770.271,96 DM. Der Beklagte erstattete in dieser Zeit 284.571,37 DM. Für die Monate August bis Dezember 2001 ermittelte die GmbH bei Vorsteuern von insgesamt 553.255,03 DM einen Vorsteuerüberschuss von 161.987,79 DM.
Die für die GmbH für den Monat August 2001 am 10. September 2001 eingereichte Umsatzsteuervoranmeldung beinhaltete bei einer Vorsteuer von 106.213,65 DM (Kz 66) einen Erstattungsanspruch der GmbH von 48.920,14 DM (25.012,47 EUR). Die Voranmeldungen für die Monate September bis Dezember 2001 – Eingang der Voranmeldung für September am 10. Oktober, für Oktober am 9. November, für November am 10. Dezember 2001 und für Dezember 2001 am 8. Februar 2002 – führten insgesamt zu einem Vorsteuerüberschuss in Höhe von 113.067,65 DM bzw. 57.810,58 EUR (September: 6.202,19 EUR, Oktober: 22.964,79 EUR, November: 14.962,97 EUR und Dezember 13.680,63 EUR).
Bei Zugrundelegung der Voranmeldungen hätte sich für 2001 insgesamt ein Vorsteuerüberschuss von 446.559,16 DM (228.322,07 EUR) ergeben. Die erklärten Vorsteuern (Kz 66) betrugen 1.323.526,99 DM.
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