Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorgreifliche Entscheidung i.S. des § 74 FGO für die Aussetzung eines Verfahrens
Leitsatz (redaktionell)
1. Durch die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO soll u.a. verhindert werden, dass der BFH oder das BVerfG mit einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle „überschwemmt” wird, ohne dass dies der Klärung des vorgreiflichen Rechtsproblems dient bzw. dass für das Gericht und die Beteiligten aufwendige Mehrarbeit durch Parallelprozesse entsteht. Die nach § 74 FGO „vorgreifliche” Entscheidung muss für das auszusetzende Verfahren nicht bindend sein.
2. Die vom BFH in einem Verfahren (hier: I R 22/05) zu treffende Entscheidung zur Zulässigkeit einer Teilwertabschreibung von Gebäuden (Annahme einer „voraussichtlich dauernden Wertminderung” i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG im Streitjahr 2000) ist i.S. des § 74 FGO vorgreiflich für einen Rechtsstreit wegen Zulässigkeit einer Teilwertabschreibung auf den Firmenwert einer Apotheke (Annahme einer „voraussichtlich dauernden Wertminderung” i.S. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG im Streitjahr 2002).
Normenkette
FGO § 74; EStG § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, Nr. 2 S. 2
Nachgehend
Tenor
Das Verfahren wird gemäß § 74 FGO bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vor dem BFH anhängigen Verfahrens I R 22/05 ausgesetzt.
Gründe
1. Die Klägerin bezog im Streitjahr 2002 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Apotheke in B. Streitig ist, ob sie zum 31. Dezember 2002 eine Teilwertabschreibung auf den Firmenwert nach § 6 Abs. 1 EStG in Höhe von … EUR vornehmen darf. Zur Begründung macht sie sinngemäß geltend, die Bundesregierung habe im Jahr 2002 eine weitere Gesundheitsreform durchgeführt. Durch das Beitragssicherungsgesetz seien Umsatz- und Ertragseinbußen ab 1. Januar 2003 gegeben, so dass der Firmenwert der Apotheke dauerhaft gemindert sei. Aus diesem Grund betrage der Teilwert für den Firmenwert der Apotheke nur noch rd. … EUR. Der bisherige Bilanzansatz zum 31. Dezember 2002 betrage jedoch … EUR, so dass die Teilwertabschreibung zulässig und geboten sei.
Die Beteiligten wurden mit Schreiben des Berichterstatters vom 07. November 2005 um Stellungnahme gebeten, ob das vorliegende Verfahren 4 K 44/04, ferner das Verfahren zur Gewerbesteuer 3 K 66/05, bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des BFH im dortigen Verfahren I R 22/05 ruhen sollten. Hiergegen wandte der Beklagte ohne weitere Begründung ein, der vorliegende Rechtsstreit sei mit dem vom BFH im dortigen Verfahren I R 22/05 zu entscheidenden Fall nicht vergleichbar. Die Klägerin wandte ein, an der Vergleichbarkeit fehle es, weil der vom BFH zu entscheidende Fall eine dauernde Wertminderung bei Gebäuden betreffe, während es vorliegend um eine Teilwertabschreibung auf den Firmenwert eines Gewerbebetriebs gehe.
2. Das Gericht kann nach §§ 74, 79a Abs. 1 Nr. 1 FGO anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung eines anderen Rechtsstreits auszusetzen ist, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet.
Die nach § 74 FGO „vorgreifliche” Entscheidung muss für das auszusetzende Verfahren nicht bindend sein. Durch die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO soll u.a. verhindert werden, dass der BFH oder das Bundesverfassungsgericht mit einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle „überschwemmt” wird, ohne dass dies der Klärung des vorgreiflichen Rechtsproblems dient (BFH-Urteil vom 18 Juli 1990 I R 12/90, BFHE 161, 409) bzw. dass für das Gericht – und die Beteiligten – aufwendige Mehrarbeit durch Parallelprozesse entsteht.
Die vom BFH in dem oben genannten Verfahren zu treffende Entscheidung ist – entgegen der Auffassung der Beteiligten – im Sinne des § 74 FGO in dem genannten Sinn vorgreiflich für den vorliegenden Rechtsstreit. Gegenstand des Verfahrens vor dem BFH ist die Rechtsfrage, welche Voraussetzungen für die Annahme einer „voraussichtlich dauernden Wertminderung” i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG (Streitjahr 2000) gelten. Die genannte Bestimmung stimmt dem Wortlaut nach weitgehend mit § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG überein, wobei es letztlich um die durch Auslegung zu ermittelnden Voraussetzungen für die Annahme einer „voraussichtlich dauernden Wertminderung” i.S. von § 6 Abs. 1 EStG geht.
Daher übt das Gericht das ihm nach § 74 FGO eingeräumte Ermessen dahin aus, dass das finanzgerichtliche Verfahren bis zur Rechtskraft der genannten Entscheidung des BFH ausgesetzt wird.
Fundstellen
Haufe-Index 1530498 |
NWB direkt 2006, 3 |