Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG 2009 – Steuersatz für nahe Familienangehörige
Leitsatz (redaktionell)
- Die Gleichstellung der Erwerber der Steuerklasse II (hier: Neffe des Erblassers) mit Erwerbern der Steuerklasse III durch § 19 Abs. 1 ErbStG 2009 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1GG.
- Die unterschiedliche Ausgestaltung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Neuregelungen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22.12.2009, durch das die Unterscheidung zwischen diesen Steuersätzen – anders als die erweiterte Begünstigung von Betriebsvermögen - erst ab dem Jahr 2010 wieder eingeführt wurde, ist nicht willkürlich.
Normenkette
ErbStG 2009 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1, § 16 Abs. 1 Nr. 5, § 19 Abs. 1, § 37 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger ist der Sohn des Bruders des am…Januar 2009 verstorbenen und zuletzt in A wohnhaften Erblassers X. Der Kläger hat den Erblasser zu einem Anteil von einem Viertel beerbt.
Das beklagte Finanzamt setzte gegen den Kläger mit Bescheid vom 17. Februar 2010 9.360 EUR Erbschaftsteuer fest. Dabei ging es von einem Wert seines Erwerbs von Todes wegen von 51.266 EUR aus. Das Nachlassvermögen bestand aus Guthaben bei Kreditinstituten und einem Steuererstattungsanspruch. Das beklagte Finanzamt erhob auf den sich nach Abzug eines Freibetrags von 20.000 EUR ergebenden steuerpflichtigen Erwerb von abgerundet 31.200 EUR einen Steuersatz von 30 %.
Mit seinem hiergegen eingelegten Einspruch machte der Kläger geltend: § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz) vom 24. Dezember 2008 (BGBl I, 3018) (ErbStG) sei verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe zu Unrecht die tariflichen Unterschiede zwischen den Steuerklassen II und III beseitigt.
Das beklagte Finanzamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 19. Juli 2010 unter Hinweis auf die geltende Gesetzesfassung zurück.
Der Kläger trägt mit seiner Klage vor: Die Gleichstellung der Erwerber der Steuerklasse II mit Erwerbern der Steuerklasse III durch § 19 Abs. 1 ErbStG verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Der Begriff der Familie i.S. des Art. 6 Abs. 1 GG sei nicht auf einen bestimmten Grad der verwandtschaftlichen Beziehungen beschränkt. Nahe Familienangehörige des Erblassers, die der Steuerklasse II zuzuordnen seien, dürften nicht mit denselben Steuersätzen wie fremde Dritte mit Erbschaftsteuer belastet werden. Er sei zudem in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, weil der Gesetzgeber durch Art. 6 Nr. 2 des Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums vom 22. Dezember 2009 (BGBl I, 3950) - Wachstumsbeschleunigungsgesetz - die frühere Unterscheidung der Steuersätze zwischen Erwerbern der Steuerklasse II und III wieder hergestellt habe, ohne die neue Rechtslage auf Erwerbe zu erstrecken, für welche die Steuer im Jahr 2009 entstanden sei. Dies habe zur Folge, dass Steuerpflichtige je nach dem Zeitpunkt ihres Erwerbs unterschiedlich behandelt würden. Hierfür gebe es keine sachliche Rechtfertigung. Demgegenüber habe der Gesetzgeber des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes für die erweiterte Begünstigung von Betriebsvermögen eine Rückwirkung vorgesehen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 17. Februar 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2010 aufzuheben, soweit mehr als 4.680 EUR Erbschaftsteuer festgesetzt worden ist.
Das beklagte Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf seine Einspruchsentscheidung.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 17. Februar 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das beklagte Finanzamt hat den der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb des Klägers von Todes wegen (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) zutreffend besteuert. Der Kläger ist der Steuerklasse II zuzuordnen (§ 15 Abs. 1 ErbStG). Das hat zur Folge, dass auf den sich nach Abzug eines Freibetrags von 20.000 EUR (§ 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG) ergebenden steuerpflichtigen Erwerb (§ 10 Abs. 1 Satz 1 und 6 ErbStG) ein Steuersatz von 30 % zu erheben ist (§ 19 Abs. 1 ErbStG).
Der Senat hat nicht die für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG erforderliche Überzeugung zu gewinnen vermocht, dass § 19 Abs. 1 ErbStG - soweit er den Kläger betrifft - verfassungswidrig ist.
Der Kläger kann sich nicht auf das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG berufen. Danach stehen Ehe und Familie unter dem besonde...