Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit – Nichterfassung von Einkünften beim Einscannen der Steuererklärung – Grob unachtsame Bearbeitung von Prüfhinweisen
Leitsatz (redaktionell)
Die unbewusste Nichterfassung erklärter Einkünfte aus selbständiger Arbeit bei der Einkommensteuerveranlagung aufgrund eines Fehlers beim Einscannen der Steuererklärung stellt unter Berücksichtigung der durch das Risikomanagement der Finanzverwaltung vorgesehenen Arbeitsweise auch dann eine offenbare Unrichtigkeit und keinen Rechtsanwendungsfehler aufgrund mangelhafter Sachverhaltsaufklärung dar, wenn sie auf die grob unachtsame Bearbeitung von Prüfhinweisen zurückzuführen ist.
Normenkette
AO §§ 88, 129 S. 1
Streitjahr(e)
2010
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob der formell bestandskräftige Einkommensteuerbescheid 2010 vom 10.01.2012 nach § 129 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) wegen einer offenbaren Unrichtigkeit berichtigt werden kann.
Die Kläger, die seit dem 08.10.2010 verheiratet sind, werden im Streitjahr 2010 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Am 21.12.2011 reichten die Kläger die Einkommensteuerklärung 2010 auf dem amtlichen Vordruck ein. Die Erklärung enthält u. a. Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Klägers als Programmierer in Höhe von 128.641 Euro sowie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Klägerin in Höhe von 28.552 Euro.
Nach den Angaben zur Zentralerfassung des Beklagten ist die Erklärung im Veranlagungsbezirk als „Schnellbearbeitung 5000er” behandelt und gescannt worden. Im Anschluss an die Erfassung ging im Veranlagungsbezirk eine Hinweismitteilung ein, die
u. a. folgende Prüf- und Risiko-Hinweise enthält:
PHW 4706: Da der Ehemann/die Ehefrau Einkünfte von weniger als 4.200 Euro erzielt hat, ist zu prüfen, ob er/sie ggf. ohne eigene Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert ist und der verringerte Höchstbetrag zu den sonstigen Vorsorgeaufwendungen (Kz 52.307 = 1) einzugeben ist.
RHW 1577: Es wurden abweichende Erklärungswerte gespeichert.
Der Fall wird daher als risikobehaftet gezählt.
RHW 5401: Es handelt sich um eine Zusammenveranlagung. Im Vorjahr erfolgte eine Einzelveranlagung bzw. getrennte Veranlagung. Der Risikofilter kann keine zutreffenden Vorjahresvergleiche durchführen. Der Fall ist personell zu prüfen. Ggf. unter einer anderen Steuernummer festgesetzte Vorauszahlungen sind umzubuchen.
Den Prüf-Hinweis versah die Sachbearbeiterin, die Zeugin M, am 29.12.2011 mit dem handschriftlichen Vermerk „EM=Eink. § 18 EStG” und die Risiko-Hinweise jeweils mit einem handschriftlichen Haken. Ferner trugen die Sachbearbeiterin sowie der zuständige Sachgebietsleiter, der Zeuge L, in der „Anlage Finanzamtsdaten” geänderte Werte zu den Vorsorgeaufwendungen ein.
In der Bilanzakte befindet sich bei den Angaben des Klägers zur Bildung des Investitionsabzugsbetrages nach § 7g Abs. 1 EStG im Jahr 2010 der handschriftliche Vermerk „§ 7 g (1) a Betriebsvermögen 135.000” und in der Umsatzsteuerakte auf der letzten Seite der Umsatzsteuererklärung 2010 der handschriftliche Vermerk über eine sachliche Prüfung vom 29.12.2011.
Im Einkommensteuerbescheid 2010 vom 10.01.2012 blieben die Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Klägers unberücksichtigt. Die Kläger erhielten daraufhin eine Einkommensteuererstattung von 22.202 Euro.
Bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen für den Veranlagungszeitraum 2011 stellte der Bearbeiter des Beklagten die Nichterfassung der selbständigen Einkünfte des Klägers im Streitjahr 2010 fest. Daraufhin erging am 09.05.2014 ein nach § 129 AO entsprechend geänderter Einkommensteuerbescheid 2010. Im Erläuterungsteil des Änderungsbescheides wird ausgeführt, dass die in der Einkommensteuererklärung aufgelisteten Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit nur versehentlich nicht übernommen worden seien.
Gegen den Bescheid legten die Kläger am 16.05.2014 Einspruch ein, den sie wie folgt begründeten: Die vom Beklagten angeführten Gründe für eine offenbare Unrichtigkeit seien nicht nachvollziehbar. Eine offenbare Unrichtigkeit scheide aus, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit bestehe, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder in einem sonstigen (sachverhaltsbezogenen) Denk- oder Überlegungsfehler begründet sei oder auf mangelnder Aufklärung des Sachverhalts beruhe. Da die Erfassungsbögen nicht vorlägen, könne nicht nachvollzogen werden, ob es sich um einen Erfassungsfehler handle und dass dieser Erfassungsfehler bei der notwendigerweise durchzuführenden Überprüfung nicht auffallen konnte. Solange die Akten in Papierform geführt würden und zur Feststellung eines eventuellen Erfassungsfehlers ein Abgleich des Akteninhalts mit dem EDV-Speicher erforderlich sei, scheide eine offenbare Unrichtigkeit aus.
Mit Schreiben vom 08.08.2014 wies der Beklagte darauf hin, in 2010 sei erstmalig eine Zusammenveranlagung durchgeführt worden. Es hätten ...