Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit – Anspruch auf Zustimmung zum Schuldenbereinigungsplan
Leitsatz (redaktionell)
- Kann der Entzug der Anwaltszulassung des Abgabenschuldners nur durch Zustimmung der Finanzbehörde zu einem Schuldenbereinigungsplan mit dem Ziel der Restschuldbefreiung verhindert werden, gebührt dem Interesse an der Erhaltung der beruflichen und wirtschaftlichen Existenz wegen des verfassungsrechtlichen Gewichts der Berufsfreiheit grundsätzlich der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung einer Haftungsforderung.
- Das Verlangen, auf die konkret gewählte Berufstätigkeit zu verzichten, um in den Genuss eines teilweisen Erlasses durch Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren zu kommen, ist sachwidrig.
- Allein die Übernahme des Amtes eines Strohmann-Geschäftsführers und die treuhänderische Übernahme von Geschäftsanteilen mit gleichzeitiger umfassender Bevollmächtigung des Treugebers steht der Erlasswürdigkeit des Haftungsschuldners nicht entgegen, wenn er nicht annehmen musste, dass der Treugeber selbst gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen werde.
- Selbst bei fehlender Erlasswürdigkeit kann ein Erlass – in Abwägung zwischen dem Allgemeininteresse, festgesetzte Abgaben einzuziehen, und dem Gewicht der Pflichtverletzung - ausnahmsweise geboten sein, wenn die Durchsetzung der Haftungsforderung existenzvernichtend ist.
Normenkette
InsO § 290 Abs. 1; AO § 227 Abs. 1; BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7; GG Art. 12 Abs. 1; FGO §§ 101-102
Nachgehend
Tatbestand
Der Vater der Klägerin, ein seit Jahrzehnten in A niedergelassener Gynäkologe, war seit 1993 Geschäftsführer der X GmbH, die in B ein Altenpflegeheim betrieb. 1998 wurde zur Bewirtschaftung des Altenpflegeheims die X GmbH & Co. KG (KG) sowie als deren Komplementärin die X GmbH gegründet. Die KG übernahm 1998 sämtliche Dienstleistungen wie Verwaltung, Reinigung und Catering und vermietete seit 2000 der X GmbH die gesamte Heimausstattung. Bis Oktober 2005 erwirtschaftete die KG regelmäßig Gewinne.
Seit 2001 wohnt und arbeitet die Klägerin in C. Seit ...... 2002 ist die Klägerin als Rechtsanwältin zugelassen. Sie ist seit 2003 verheiratet, ihre Kinder sind 2006 und 2009 geboren. Seit ...... ist sie Fachanwältin für Strafrecht und ganz überwiegend auf diesem Gebiet tätig.
Als die seinerzeitige Geschäftsführerin der Komplementärin, eine Schwägerin des Vaters, im Jahr 2004 aus privaten Gründen ihre Tätigkeit beendete, übernahm die Klägerin von ihr auf Bitten ihres Vaters am 28.06.2004 sämtliche Geschäftsanteile in Höhe von 50.000 EUR an der GmbH und die Kommanditeinlage von 50.000 EUR, da das Altenpflegeheim nach ihrer Kenntnis seit mehr als zehn Jahren komplikationslos und mit Gewinn betrieben worden war. Am gleichen Tag schloss die Klägerin mit ihrem Vater einen Treuhandvertrag, nach dem sie sowohl ihre Geschäftsanteile als auch den Kommanditanteil an ihren Vater abtrat und für ihn nur treuhänderisch verwaltete. Weiter wurde die Klägerin Geschäftsführerin der Komplementärin unter Vereinbarung eines Arbeitsvertrags mit einem Monatsentgelt von 400 EUR, überließ aber die faktische Geschäftsführung ihrem in vollem Umfang bevollmächtigtem Vater. Dessen Tätigkeit beaufsichtigte sie nicht.
Die Erledigung und Überprüfung der steuerlichen Pflichten der KG und der Komplementärin waren einer Steuerberatungsgesellschaft übertragen.
Spätestens ab November 2005 entnahm der Vater unberechtigt Zahlungsmittel aus der KG, so dass die Gesellschaft in finanzielle Schieflage geriet und ab Mai 2006 insolvenzreif war.
Der Klägerin wurde die finanzielle Schieflage der KG und der Komplementärin erst in der zweiten Hälfte des Januar 2007 bekannt, da ihr Vater nach ihren Angaben dafür gesorgt hatte, dass sie über die wirtschaftliche Lage der KG und der Komplementärin nicht informiert wurde. Nach Kenntnis der wirtschaftlichen Lage stellte die Klägerin umgehend Insolvenzantrag. Am .......2007 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der KG eröffnet.
Ihr Vater und die von ihm geführte X GmbH gerieten ebenfalls in Insolvenz. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der X GmbH wurde am ...2007 eröffnet.
Aufgrund der Insolvenz nahm der Beklagte die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 06.09.2007 als Haftende nach §§ 34, 69 der Abgabenordnung AO – in Verbindung mit §§ 161, 128 des Handelsgesetzbuchs für von Februar bis November 2006 fällig gewordene Umsatzsteuer der KG zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von zusammen 76.655,74 EUR in Anspruch. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Insgesamt stellen sich die Schulden der Klägerin aus der Insolvenz der KG und der Komplementärin wie folgt dar:
Beklagter mit Haftungsbescheid vom 06.09.2007 76.655,74 EUR
FA B mit Haftungsbescheid vom 13.02.2008 36.053,44 EUR
FA B mit Haftungsbescheid vom 13.02.2008 5.846,55 EUR
Insolvenzverwalter aufgrund von Schuldanerkenntnissen 50.000,00 EUR
......