Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausscheiden der Haftung des Geschäftsführers einer konkursreifen GmbH mangels grob fahrlässigen Verschuldens
Leitsatz (redaktionell)
1) Nach Eröffnung des Konkursverfahrens hat ein GmbH-Geschäftsführer keine Umsatzsteuer-Voranmeldungen mehr für die GmbH abzugeben, weil das Verfügungs- und Verwaltungsrecht gem. § 6 Abs. 2 KO allein vom Konkursverwalter ausgeübt wird. Es entfällt sowohl die Steuererklärungspflicht als auch die Zahlungspflicht des Geschäftsführers.
2) Daher besteht auch kein Haftungsanspruch gegen ihn gem. §§ 69 Satz 1, 34 AO.
3) Der GmbH-Geschäftsführer darf auch in Zeiten der Krise vor Konkursantragstellung weiterhin Verträge und Geschäfte abschließen, die zu einer späteren Umsatzsteuerpflicht führen, selbst wenn die Mittel zur Zahlung der Umsatzsteuer in diesem Zeitpunkt nicht mehr vorhanden sind.
4) Die im BGH-Urteil v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, DStR 1994, 1054, entwickelten Grundsätze zur Haftung des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber vertraglichen Neugläubigern gemäß §§ 64 Abs. 1 GmbHG, 823 Abs. 2 BGB sind auf den Bereich der Haftung für Umsatzsteuerschulden nicht übertragbar.
5) Es gibt keinen Grundsatz, dass für Zeiten, in denen trotz Insolvenzreife die Geschäfte fortgeführt werden, der Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht gilt und stattdessen eine Vollhaftung für Umsatzsteuer eingreift.
Normenkette
KO § 6 Abs. 2; AO § 69 S. 1, § 34; GmbHG § 64 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 2; KO § 6 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger als Geschäftsführer für Umsatzsteuerschulden der Firma Y GmbH (nachfolgend GmbH) haftet.
Gegenstand der am 20.02.1995 mit einem Stammkapital von 50.000 DM gegründeten GmbH war der Handel mit neuen und gebrauchten Motorgeräten, insbesondere Gartenmotorgeräten, Mofas, Motorrollern, Fahrrädern und Freizeitanhängern. Zum alleinigen Geschäftsführer der GmbH war zunächst der Kaufmann C bestellt worden. Dieser wurde im Oktober 1995 als Geschäftsführer abberufen. Gleichzeitig wurden der Kläger und ein Herr X zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführern bestellt.
Am 04.12.1995 stellte die GmbH ihren Betrieb ein. Zwei Tage später, am 06.12.1995, stellten der Kläger und sein Mitgeschäftsführer den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens beim Amtsgericht C1. Dieses ordnete mit Beschluss vom selben Tage die Sequestration und ein umfassendes Verfügungsverbot für die GmbH an. Mit Beschluss vom 02.01.1996 – … – eröffnete das Amtsgericht C1 das Konkursverfahren gegen die GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung.
Der GmbH war für die Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen Dauerfristverlängerung gewährt worden. Für die Monate 08 bis 10/1995 reichte die GmbH Umsatzsteuer-Voranmeldungen ein. Für den Monat 11/1995 wurde keine Umsatzsteuer-Voranmeldung mehr abgegeben. Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate 08 bis 11/1995 wurden von der GmbH nicht erbracht.
Mit inhaltlich gleichlautenden Haftungsbescheiden vom 03.12.1998 bzw. vom 04.11.1998 wurden der Kläger und der Mitgeschäftsführer X für Umsatzsteuer 08 bis 11/1995 (zzgl. Säumniszuschlägen) in Höhe von insgesamt 39.770,93 DM nach §§ 191, 34, 69 Abgabenordnung 1977 (AO) in Haftung genommen. Der Beklagte stützte den Haftungsbescheid darauf, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer die Erklärungspflichten verletzt hätten, indem sie unrichtige Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate 02 bis 10/1995 eingereicht und für den Monat 11/1995 überhaupt keine Umsatzsteuer-Voranmeldung mehr abgegeben hätten. Weiterhin liege für die Umsatzsteuerbeträge 08 und 09/1995 eine Verletzung der Zahlungspflicht vor. Mangels anderer Anhaltspunkte sei anzunehmen, dass die Pflichtverletzung zumindest grob fahrlässig erfolgt sei. Die Kausalität der Pflichtverletzung für den Steuerausfall ergebe sich daraus, dass die GmbH zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Umsatzsteuerbeträge zahlungsunfähig gewesen sei. Der Beklagte gelangte zu dem Ergebnis, dass die Haftungssumme auch nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht zu reduzieren sei.
Mit den Einspruchsentscheidungen vom 24.04.2003 setzte der Beklagte die Haftungsschuld gegen den Kläger und den Mitgeschäftsführer auf 12.858,45 DM (6.574,42 EUR) herab. Der Betrag entfiel, wie der Beklagte zwischenzeitlich klargestellt hat, allein auf die Umsatzsteuer 11/1995. Wegen der Ermittlung des Haftungsbetrages wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen. Ergänzend zum Haftungsbescheid stützte der Beklagte die Haftung darauf, dass der Kläger die Mittelvorsorgepflicht grob fahrlässig verletzt habe. Er habe die Geschäfte der GmbH fortgeführt, obgleich diese überschuldet und zahlungsunfähig gewesen sei. Wer weiß oder wissen müsse, dass er keine ausreichenden Zahlungsmittel mehr habe oder Verbindlichkeiten eingehe, die er nicht voll begleichen könne, müsse für den Schaden, der durch die weitere Geschäftstätigkeit entstehe, in vollem Umfang persönlich haften. Der Grundsatz der a...