Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschränkung der rückwirkenden Kindergeldgewährung durch § 66 Abs.3 EStG a.F. verfassungskonform - kein Anlaufen der Einspruchsfrist bei unterbliebener Bekanntgabe des Kindergeldbescheids an den bevollmächtigten Rechtsanwalt
Leitsatz (redaktionell)
1. Die mit Wirkung ab 1998 aufgehobene Regelung des § 66 Abs.3 EStG --rückwirkende Kindergeldfestsetzung nur bis zu sechs Monate vor Antragstellung-- war nicht verfassungswidrig. Sie kam auch dann zur Anwendung, wenn der Kindergeldberechtigte nach Aufhebung einer früheren Kindergeldfestsetzung einen erneuten Antrag auf Kindergeld stellte. Ob der Kindergeldberechtigte Kenntnis von den Anspruchsvoraussetzungen hatte oder von der Kindergeldbehörde auf die Ausschlussfrist nach § 66 Abs.3 EStG hingewiesen worden war, war insoweit unbeachtlich.
2. Hat der getrennt lebende Ehemann -ein Rechtsanwalt- für seine Frau unter Beifügung eines von ihr unterschriebenen Antrags Kindergeld beantragt, muss die Behörde den Kindergeldbescheid ihm bekanntgeben. Ein ihm zugesandtes Mitteilungsschreiben ohne Rechtsbehelfsbelehrung, das über die Ablehnung der Kindergeldgewährung informiert und auch der Form nach nicht wie ein Bescheid wirkt, ist nicht als Bekanntgabe der Kindergeldfestsetzung zu werten und setzt daher die Einspruchsfrist nicht in Lauf.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 1 S. 3, § 355 Abs. 1; EStG 1997 § 66 Abs. 3; VwZG § 8 Abs. 1
Tatbestand
Mit Schreiben vom 27.10.1997 hatte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin (Kl in), ihr getrennt lebender Ehemann, unter Versicherung einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung und Vorlage eines von der Kl in unterzeichneten Kindergeldantrages und einer Haushaltsbescheinigung beim Beklagten (dem Arbeitsamt Augsburg –Finanzkasse–) beantragt, der Klin Kindergeld für die Kinder A und N rückwirkend seit 01.01.1996 zu gewähren.
Die Finanzkasse gewährte mit Bescheid vom 06.11.1997 Kindergeld rückwirkend nur ab April 1997 und verwies im übrigen auf die Ausschlußfrist des § 66 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) in der damals gültigen Fassung. Der Bescheid war an die Klin persönlich gerichtet und enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung. Der Prozeßbevollmächtigte der Klin erhielt lediglich eine Mitteilung ohne Rechtsbehelfsbelehrung in Form eines Schreibens, daß das beantragte Kindergeld rückwirkend nur für 6 Monate gezahlt werden könne. Das Schreiben enthielt den Zusatz, daß die Klin bei der Trennung auf das Erfordernis der rechtzeitigen Antragstellung auf Kindergeld hingewiesen worden sei. Den Zugang dieses Hinweises im Dezember 1995 bestritt der Klägervertreter mit Schreiben vom 15.01.1998 unter Wiederholung des Antrags auf rückwirkende Kindergeldgewährung. Die Finanzkasse wertete dieses Schreiben als Einspruch und verwarf diesen mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 25.03.1998 wegen Fristversäumung als unzulässig.
Hiergegen richtet sich die Klage mit dem Antrag, den Bescheid und die EE aufzuheben und die Finanzkasse zu verpflichten, Kindergeld auch für den Zeitraum von 01.01.1996 bis 30.04.1997 zu zahlen (richtig wohl: bis 31.03.1997). Verfahrensrechtlich rügt der Prozeßbevollmächtigte, daß der Bescheid nur an die Klin persönlich bekanntgegeben worden sei und daß diese den Eingang trotz intensiver Suche nicht feststellen könne, das ihm zugegangene Schreiben vom gleichen Tage habe keine Rechtsmittelbelehrung enthalten und sei nicht als Bescheid erkennbar gewesen. Sachlich bestreitet er nach wie vor den Zugang des Hinweisschreibens der Finanzkasse vom 05.12.1995 bei der Klin. Die Finanzkasse könne sich daher nicht erfolgreich auf die Vorschrift des § 66 Abs. 3 EStG berufen.
Die Finanzkasse beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Entgegen der Auffassung der Finanzkasse war der Einspruch zulässig. Der ablehnende Bescheid war der Klin nicht wirksam bekannt gegeben worden mit der Folge, daß die Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt wurde (§ 122 Abs. 1, § 355 Abgabenordnung –AO–). Die Rechtsprechung hat sich mehrfach mit den Ermessensvorschriften über die Bekanntgabe an einen Bevollmächtigten befaßt (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO; § 8 Abs. 1 Verwaltungszustellungsgesetz –VwZG–). Der Tenor dieser Entscheidungen lautet, daß die Behörde die Bekanntgabe an diejenige Person zu bewirken hat, bei der die Fäden zusammenlaufen (vgl. zur Bekanntgabe an Steuerberater BFH-Urteil vom 27.02.1986 IV R 72/85, BStBl II 1986, 547, BFHE 146, 206; vgl. auch zur Bekanntgabe eines Änderungsbescheides im Klageverfahren BFH-Urteile vom 05.05.1994 VI R 98/93, BStBl II 1994, 806, BFHE 174, 208 sowie vom 29.10.1997 X R 37/95, BStBl II 1998, 266, BFHE 184, 232). Nach dieser Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, muß die Finanzkasse den Ablehnungsbescheid eines von einem Rechtsanwalt eingereichten, von dem Kindergeldberechtigten unterschriebenen Kindergeldantrages dem Anwalt bekannt geben. Im Streitfall hat daher die Bekanntgabe an die Klin persönlich die Ein...