Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrten zum Ort des Lebensmittelpunktes. Einkommensteuer 1998
Leitsatz (redaktionell)
Hat ein Zeitsoldat erst vor kurzem sein Studium an der Universität der Bundeswehr angetreten und fährt er im Streitjahr 11-mal an den bisherigen Wohnort (Entfernung: 650 km), wobei er sich an insgesamt 76 Tagen dort aufhält, ist der Mittelpunkt der Lebensinteressen noch am bisherigen Wohnort anzunehmen (Abweichung von Abschn. 42 Abs. 1 Satz 8 der LStR 1999).
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4; LStR 1999 Abschn. 42 Abs. 1 S. 8
Tenor
1. Der Einkommensteuerbescheid 1998 vom 29.7.2002 wird dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer auf 6.636 DM herabgesetzt wird.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anzuerkennen sind.
Der Kläger (Kl) ist von Beruf Zeitsoldat. Gegen den vom Beklagten (Finanzamt –FA–) erklärungsgemäß erstellten Einkommensteuerbescheid 1998 vom 30.1.2001 legte er Einspruch ein. Nachdem er ihn nicht begründete, blieb er ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung –EE– vom 4.7.2001).
Im Klageverfahren legte der Kl eine neue Anlage N zur Einkommensteuererklärung vor. Danach sollten die Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit 9.054 DM betragen. Ferner wurde vorgetragen, dass der Kl als Offiziersanwärter seit Oktober 1997 an der Universität der Bundeswehr in München Elektronik studiere. Hierbei handele es sich um ein Ausbildungsdienstverhältnis. Der Lebensmittelpunkt des Kl befinde sich in A. wohin regelmäßig Heimfahrten durchgeführt worden seien.
In der Anlage N machte der Kl 12 Heimfahrten nach A. (Entfernung: 657 km) als Fahrten zwischen Wohnung (Zweitwohnung) und Arbeitsstätte und ferner AfA für einen PC (2.816 DM) sowie Aufwendungen für Arbeitsmittel (719 DM) geltend. In diesem Zusammenhang legte er Tankbelege über insgesamt 2.903,22 DM vor.
Mit Schriftsatz vom 19.11.2001 wurde eine Aufstellung vorgelegt, aus der sich ergibt, dass der Kl im Streitjahr insgesamt 11 Heimfahrten unternommen und sich an den betreffenden Wochenenden jeweils ca. 3–4 Tage und in den Monaten Juli, August und Dezember jeweils über einen längeren Zeitraum dort aufgehalten hat. Insgesamt hielt er sich im Streitjahr in Aachen nach diesen Angaben, auf die Bezug genommen wird, an 76 Tagen auf. Hierzu trug er vor, dass bei der Frage des Lebensmittelspunktes nicht allein die Anzahl der Fahrten dorthin entscheidend sei, sondern auch die Anzahl der Tage, an denen sich der Kl dort aufgehalten habe. Ferner wurde dargelegt, dass nicht nur die Eltern des Kl in A. wohnten, sondern auch die Freundin des Kl.
Gegen einen Lebensmittelpunkt in München spräche (Schriftsatz vom 22.1.2002), dass dem Kl auf dem Campus der Bundeswehr lediglich ein Studentenzimmer von 15 m², das mit Schreibtisch und Bett ausgestattet gewesen sei, zur Verfügung gestanden habe. Die (Tee) Küche und die Duschgelegenheiten seien lediglich gemeinschaftlich zu nutzen gewesen. Er sei nur deshalb nicht öfters nach Aachen gefahren, weil er in München ein umfangreiches Lernpensum zu bewältigen gehabt habe. Im Juli und August 1998 habe er ein mehrwöchiges Praktikum bei der Fa. C. absolviert.
Im Änderungsbescheid vom 29.7.2002 berücksichtigte das FA weitere Werbungskosten (AfA für den PC und das Notebook sowie Aufwendungen für Arbeitsmittel) in Höhe von 3.169 DM. Die geltend gemachten Fahrtkosten (lt. Schriftsatz vom 19.11.2001: 5.059 DM) wurden nicht berücksichtigt.
Der Kl beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 29.7.2002 in der Weise zu ändern, dass weitere Werbungskosten in Höhe von 5.059 DM in Abzug gebracht werden.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Beschluss vom 23.9.2002 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage ist begründet.
1. Fahrtaufwendungen eines Arbeitnehmers von einer weiter entfernt liegenden zweiten Wohnung zur Arbeitsstätte sind dann gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als Werbungskosten abziehbar, wenn diese Wohnung den örtlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen darstellt. Als Wohnung in diesem Sinne ist auch ein Zimmer anzuerkennen, das der Steuerpflichtige im Hause seiner Eltern bewohnt. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist bei ledigen Arbeitnehmern in der Regel dort, von wo aus sie sich überwiegend zur Arbeit begeben. Ausnahmsweise bildet aber die weiter entfernt liegende Wohnung dann den Mittelpunkt der Lebensinteressen, wenn die engeren persönlichen und sachlichen Beziehungen zu diesem Ort bestehen und der Arbeitnehmer sich dort nicht nur gelegentlich, sondern nachhaltig aufhält.
Ob der Mittelpunkt der Lebensinteressen eines ledigen Arbeitnehmers am Ort seiner weiter entfernt liegenden Wohnung zu bejahen ist, hängt von den Gesamtumständen des Einzelfalles ab. Ein gewichtiges Indiz hierfür ist die Zahl der Heimfahrten (Urteil des BFH vom 10.2.2000 VI R 60/98, BStBl II 2000, 949...