Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage bei Leistung an einen zwar nahestehenden, aber vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer. Hineinwachsen einer Untätigkeitsklage in die Zulässigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Anwendung der sog. Mindestbemessungsgrundlage ist nur insoweit durch Art. 27 der 6. EG-Richtlinie gedeckt, als sie der Verhütung von Steuerhinterziehung oder -umgehung dient.
2. Es besteht keine Gefahr der Steuerhinterziehung oder -umgehung, wenn die Leistung an einen zwar nahestehenden, aber vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer erfolgt.
3. Eine verfrüht erhobene Untätigkeitsklage wächst durch das Ergehen der Einspruchsentscheidung nach Klageerhebung in die Zulässigkeit hinein.
Normenkette
UStG § 10 Abs. 1, 4 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 1; EWGRL 388/77 Art. 27 Abs. 1; EGRL 112/2006 Art. 395 Abs. 1; FGO § 44 Abs. 1, § 46 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide vom 22. Februar 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 24. März 2011 wird die Umsatzsteuer für 2006 auf
./. 95.784,61 EUR und für 2007 auf 6.076,04 EUR festgesetzt.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob für die Ermittlung der umsatzsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage für die Verpachtung landwirtschaftlicher Anlagen an eine nahestehende Person die Mindestbemessungsgrundlage gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren gültigen Fassung (UStG) maßgeblich ist.
Die Klägerin ist eine Grundstücksgemeinschaft mit dem Ehepaar J und A als Gemeinschafter. Im Jahr 2005 begann die Klägerin, auf einem im Eigentum der Gemeinschafter stehenden Grundstück mit der Errichtung einer Schweinezuchtanlage. Die vorsteuerbelasteten Anschaffungs- und Herstellungskosten für die Gebäude und die damit verbundenen Betriebsvorrichtungen betrugen 1.299.383,56 EUR, für sonstige Betriebsvorrichtungen 61.826,81 EUR.
Mit Pachtvertrag vom 1. Oktober 2005 verpachtete die Klägerin diese Anlagen ab Juni 2006 an den Sohn der Gemeinschafter, M (Sohn). Als monatlicher Pachtzins wurden 6.500,– EUR zzgl. 16 % Mehrwertsteuer vereinbart. Ab dem 1. Juli 2020 sollte der Pachtzins 4.000,– EUR netto pro Monat betragen.
Die im Zusammenhang mit den Herstellungskosten anfallenden Vorsteuerbeträge machte die Klägerin in ihren Umsatzsteuererklärungen 2005 bis 2007 geltend. Aus der Verpachtung erklärte sie steuerpflichtige Umsätze in 2006 zu 16 % in Höhe von 45.500,– EUR und in 2007 zu 19 % in Höhe von 78.000,– EUR.
Nach einer bei der Klägerin durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass für die Besteuerung der Verpachtung nicht der vereinbarte Pachtzins, sondern die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG anzuwenden sei. Unter Berücksichtigung der Anschaffungs- und Herstellungskosten des Stalles und der Betriebsvorrichtungen ermittelte er unter Verteilung der Kosten für das Gebäude auf zehn Jahre und für die Betriebsvorrichtungen auf fünf Jahre für die Streitjahre einen rechnerischen Pachtzins und damit eine Mindestbemessungsgrundlage in Höhe von 11.800,– EUR pro Monat.
Der Beklagte (das Finanzamt) setzte jeweils mit Änderungsbescheiden vom 22. Februar 2010, unter Übernahme der Prüfungsfeststellungen und Erhöhung der steuerpflichtigen Umsätze um monatlich 5.300,– EUR, die Umsatzsteuer für 2006 auf einen Negativbetrag von 89.848,69 EUR und für 2007 auf 18.160,04 EUR fest. Die bei den abziehbaren Vorsteuerbeträgen vorgenommenen Kürzungen sind nicht streitig.
Da das Finanzamt über den hiergegen eingelegten Einspruch vom 17. März 2010 Ende September 2010 noch nicht entschieden hatte, erhob die Klägerin am 2. November 2010 Untätigkeitsklage. Mit Einspruchsentscheidung vom 24. März 2011 wies das Finanzamt den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Mit ihrer Klage bringt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor:
Der Besteuerung sei der vereinbarte Pachtzins von monatlich 6.500,– EUR netto zu Grunde zu legen. Dieser sei marktgerecht und damit fremdüblich. Die Mindestbemessungsgrundlage komme nur zur Anwendung, wenn der vereinbarte Pachtzins nicht fremdüblich sei, aber nicht generell deshalb, weil es keinen fremdüblichen Pachtzins gebe. Wenn keine Vergleichsmieten feststellbar seien, sei das fremdübliche Entgelt nach den Grundsätzen der Kostenmiete zu ermitteln. Außerdem werde auf die von der Verwaltungsauffassung abweichende Meinung im Fachschrifttum und den Beschluss des FG Düsseldorf 1 V 2477/08 A (U) vom 26. November 2008 sowie das Urteil des EuGH vom 26. April 2012 in den Rs. C-621/10 und C-129/11 verwiesen.
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