Entscheidungsstichwort (Thema)
Abrechnungsbescheid, Festsetzungsverfahren, sechsmonatige Auszahlungsbegrenzung
Leitsatz (redaktionell)
Über einen Streit betreffend die Auszahlung des festgesetzten Kindergeldanspruchs ist durch Abrechnungsbescheid i.S.d. § 218 AO zu entscheiden. Dies gilt auch in Bezug auf die bis zum 17.7.2019 gültige Regelung des § 66 Abs. 3 EStG, wonach Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Antragstellung gezahlt wird, weil diese Vorschrift nicht das Auszahlungs- bzw. Erhebungsverfahren, sondern das Festsetzungsverfahren betrifft.
Normenkette
EStG a.F. § 66 Abs. 3; AO § 218 Abs. 1, 2 S. 1; EStG § 52 Abs. 49a S. 7
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Auszahlung des Kindergelds § 66 Abs. 3 Einkommensteuer (EStG) entgegensteht.
Die Klägerin ist Mutter von I. (geboren 1995) und Q. (geboren 1997).
Mit am 23.04.2018 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben beantragte die Klägerin Kindergeld und legte für das erste Kind Studienbescheinigungen ab dem Wintersemester 2014 und für das zweite Kind ab dem Sommersemester 2017 vor.
Die Beklagte setzte Kindergeld für das erste Kind mit Bescheid vom 02.05.2018 ab Oktober 2014 fest. Unter der Überschrift „Nachzahlung” hieß es im Bescheid, dass aufgrund der Änderung des § 66 Abs. 3 EStG Anträge, die nach dem 31.12.2017 eingehen, nur zu einer Nachzahlung für die letzten sechs Monate vor Antragseingang führen könnten. Dementsprechend sei nur das ab Oktober 2017 festgesetzte Kindergeld auszuzahlen. Entsprechend wurde mit Bescheid vom gleichen Tag Kindergeld für das zweite Kind ab April 2017 festgesetzt, die Auszahlung aber ebenfalls auf das Kindergeld für den Zeitraum ab Oktober 2017 begrenzt.
Mit den am 18.05.2018 erhobenen, gegen die „Nachzahlung” gerichteten Einsprüchen trug die Klägerin vor: Die rückwirkende Änderung sei verfassungswidrig; jedenfalls aber sei die Vorschrift vorliegend nicht einschlägig. Sie habe in schutzwürdiger Weise auf die Verjährungsfrist von vier Jahren vertraut; diese Frist sei in einem von der Beklagten übersandten Merkblatt mit dem Stand „Januar 2015” ausgewiesen. Im Übrigen sei sie 2014 vom Hochwasser betroffen gewesen; die Renovierungen hätten bis Ende 2015 gedauert. Bis Mai 2016 habe sie sich um ihre chronisch kranke Mutter gekümmert. Sie sei von Juni 2016 bis April 2017 selbst erkrankt und sei bis September 2017 in einer Reha-Maßnahme gewesen. Sie kümmere sich auch um ihre pflegebedürftige Tante.
Die Familienkassen hätten die möglicherweise Berechtigten über die Gesetzesänderung informieren müssen; die Familienkassen des öffentlichen Dienstes hätten dies auch getan.
Den Anträgen sei mithin aus Billigkeitsgründen stattzugeben.
Mit Einspruchsentscheidungen vom 15.06.2018 wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen. § 66 Abs. 3 EStG sei verfassungsgemäß; davon sei auch der Bundesfinanzhof (BFH) in der früheren Fassung des § 66 Abs. 3 EStG ausgegangen. Es handele sich nicht um eine echte Rückwirkung.
Es bestehe kein Vertrauensschutz der Klägerin, weil die Beklagte nicht zur Beratung und zur Anregung des Stellens von Anträgen verpflichtet sei.
Schließlich komme eine Korrektur aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht. Eine solche Korrektur sei nur in im Streitfall nicht vorliegenden Ausnahmekonstellationen geboten.
Gegen diese Einspruchsentscheidungen richtet sich die am 06.07.2018 eingegangene Klage.
Nach einem Hinweis des Berichterstatters, wonach bei Streit über die Auszahlung des festgesetzten Kindergeldanspruchs durch Abrechnungsbescheid zu entscheiden sei, beantragte die Klägerin den Erlass zweier Abrechnungsbescheide. Gegen die Abrechnungsbescheide vom 21.01.2019 legte die Klägerin am 28.01.2019 Einsprüche ein, die am 25.03.2019 als unbegründet zurückgewiesen wurden. Die Begründung entsprach im Wesentlichen der Begründung der Einspruchsentscheidungen vom 15.06.2018. Die am 28.03.2019 erhobene Klage (Aktenzeichen 8 K 947/19 Kg) hat das Gericht mit Beschluss vom 28.05.2019 mit dem hiesigen Verfahren verbunden.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
die Bescheide vom 21.01.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 25.03.2019 dahingehend zu ändern, dass ein Restbetrag von 8.616 EUR für das Kind I. und ein Restbetrag von 1.206 EUR für das Kind Q. auszuzahlen ist, und die Bescheide vom 02.05.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 15.06.2018 insoweit aufzuheben, als sie die Nachzahlung der festgesetzten Beträge regeln;
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte stützt sich auf ihre Ausführungen im Einspruchsverfahren.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 11.07.2018 und die Klägerin hat mit Schreiben vom 01.08.2019 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die das Gericht gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die K...