I. Einführung
Rz. 1
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Ein erheblicher Teil der ArbN in Deutschland verfügt bereits über ein Arbeitszeitkonto (vgl BT-Drs 16/10289). Es ermöglicht eine Flexibilisierung der Beschäftigungszeiten und wird aus unterschiedlichen Motiven und in verschiedenen Ausprägungen vereinbart. Wird ein Zeitkonto durch Gutschrift von Arbeitszeiten aufgebaut, drückt das Zeitguthaben arbeitsrechtlich den Vergütungsanspruch des ArbN lediglich in anderer Form aus (BAG vom 13.03.2002 – 5 AZR 43/01, DB 2002, 2383); ein negatives Guthaben wird als Vorschuss auf den > Arbeitslohn behandelt (BAG vom 13.12.2000 – 5 AZR 334/99, DB 2001, 1565). Ein Arbeitszeitguthaben entspricht wirtschaftlich einem Darlehen des ArbN, das einer besonderen Sicherung für den Fall der Insolvenz des ArbG bedarf (> Rz 3). Zu einem Wertguthaben, das ein Kreditinstitut für den ArbG verwaltet, > Rz 15, 23.
Zu unterscheiden sind besonders folgende Fallgruppen:
Rz. 1/1
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Fallgruppe 1: Kurzfristige Arbeitszeitkonten (zB bei Gleitzeit) zur Anpassung der Arbeitszeit an den Arbeitsanfall, besonders zur Vermeidung von Überstunden (Interesse des ArbG) und zur Anpassung an private Lebensumstände (Interesse des ArbN). Sie erlauben oft nur geringe Zeitguthaben oder Fehlbeträge und sind kurzfristig auszugleichen. Sie ermöglichen es, Mehrarbeit nicht zusätzlich zu vergüten, sondern in einem festgelegten Umfang gegen Freizeit zu tauschen.
Rz. 1/2
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Fallgruppe 2: Mittelfristig ausgelegte Arbeitszeitkonten zur Anpassung an saisonale Schwankungen, die in größeren Zeiträumen auftreten (Interesse des ArbG) oder um eine Pause im Berufsleben einzulegen (Interesse des ArbN). Im öffentlichen Dienst ist zB in mehreren Bundesländern ein Sabbatjahr (> Sabbatical) besonders für den Schuldienst eingeführt worden, um Zeiten eines größeren und eines geringeren Bedarfs an Lehrpersonal auszugleichen. Unter bestimmten Voraussetzungen können sich die Beschäftigten für einen bestimmten Zeitraum vom Dienst befreien lassen, wenn sie vorher die während dieses Zeitraums zu zahlende Vergütung ansparen, indem sie sich bei voller Stundenzahl nur einen Teil ihrer Bezüge auszahlen lassen.
Rz. 1/3
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Fallgruppe 3: Langzeit- oder Lebensarbeitszeitkonten, die es ArbN ermöglichen, eine berufliche Auszeit zu nehmen (> Rz 5) oder früher in den Ruhestand zu gehen. Bestrebungen vom ArbG, sich von älteren ArbN zu trennen, korrespondieren dabei mit dem Interesse, trotz Verknappung von Arbeitsplätzen jungen Menschen einen Einstieg in das Berufsleben zu ermöglichen. Dazu dienen nicht allein die Leistungen nach dem Altersteilzeitgesetz (> Altersteilzeit). Ergänzend kann es dem ArbN ermöglicht werden, auf Entlohnung für bezahlte Mehrarbeit, bezahlte Erholungspausen, > Lohnzuschläge für Sonn-, Feiertags- oder Nachtarbeit oder auch auf bestimmte Sonderleistungen wie > Urlaubsgelder, > Weihnachtsgratifikationen oder eine > Gewinnbeteiligung zugunsten einer Zeitgutschrift zu verzichten, die auf einem Lebensarbeitszeitkonto angespart wird. Typisch für diese Sachverhalte ist es, dass die Auszahlung in der Ansparphase verdienter Bezüge durch eine arbeitsrechtlich verbindliche Vereinbarung auf eine spätere Zeit (Auszahlungsphase) verschoben wird, in der der ArbN von der Arbeitsleistung freigestellt ist.
II. Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Anforderungen an ein Zeitwertkonto
Rz. 2
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Die Verschiebung der Lohnzahlung in eine Zeit der Arbeitsfreistellung hat sich bei den sozialen Sicherungssystemen besonders wegen des dort geltenden Anspruchsprinzips als problematisch erwiesen. Entfällt in der Leistungsbeziehung zwischen ArbG und ArbN, die im Wesentlichen durch Arbeitsleistung gegen Arbeitsentgelt gekennzeichnet ist, in der Freistellungsphase eine dieser Komponenten, hat das unerwünschte Folgen. Durch das Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeiten vom 06.04.1998, BGBl 1998 I, 688 (sog Flexi-Gesetz) wurde deshalb der sozialrechtliche Schutz unter bestimmten Voraussetzungen auch auf eine Freistellungsphase ausgedehnt, wenn sich der während der Freistellung gezahlte > Arbeitslohn aus einem zuvor angesparten Wertguthaben speist. Das während der Ansparphase erarbeitete, aber nicht ausgezahlte > Arbeitsentgelt wird abweichend vom Entstehungsprinzip nicht sofort verbeitragt, sondern die SV-Beiträge bis zur Auszahlung der Wertguthaben in der Freizeitphase quasi gestundet (> Rz 14). Seither folgt die Sozialversicherung in diesen Fällen also weitgehend dem lohnsteuerlichen Zuflussprinzip (> Zufluss von Arbeitslohn).
Rz. 3
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§ 8a Abs 1 Altersteilzeitgesetz verpflichtet ArbG seit dem 01.07.2004, Wertguthaben der ArbN, die im Rahmen eines Altersteilzeitvertrags erwirtschaftet werden, gegen eine Insolvenz abzusichern. Dieser Verpflichtung sind die ArbG in der Vergangenheit teilweise nur unzureichend nachgekommen, indem als (ungenügende) Sicherheiten lediglich bilanzielle Rückstellungen oder Patronatserklärungen von verbundenen Unternehmen eingesetzt worden sind. Dur...