Rz. 1
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Der gewöhnliche Aufenthalt (vgl § 9 AO [gewA]) im > Inland begründet die unbeschränkte Steuerpflicht (§ 1 Abs 1 EStG; > Unbeschränkte Steuerpflicht Rz 1 ff). Diese knüpft neben dem > Wohnsitz an den gewöhnlichen – gemeint ist der dauernde, nicht nur vorübergehende (vgl AEAO zu § 9 Nr 1) – Aufenthalt an. Beide Merkmale sind gleichwertig; erfüllt ein Sachverhalt beide Anknüpfungsmerkmale, stellt die Praxis nur auf den Wohnsitz ab. Ein gewA kann im Inland auch dann gegeben sein, wenn daneben ein Wohnsitz im > Ausland Rz 1 besteht (BFH 116, 150 = BStBl 1975 II, 708). Ist ein gewA im Inland begründet worden, erstreckt sich die unbeschränkte Steuerpflicht auch auf die ersten sechs Monate (> Rz 3). Zu Besonderheiten bei Auslandsbeamten und ihren Familien > Auslandsbeamte; außerdem > Auslandstätigkeitserlass Rz 9, > Diplomatischer und konsularischer Dienst, > Unbeschränkte Steuerpflicht Rz 8 ff.
Der gewA ist ua auch einer der Anknüpfungpunkte als > Inländischer Arbeitgeber (§ 38 Abs 1 Satz 1 Nr 1 EStG).
Rz. 2
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 9 Satz 1 AO; allgemein zum gewA zB auch Hilbert/Engel, IWB 2017, 716 mwN). "Verweilen" bedeutet körperliche aber nicht unbedingt ständige Anwesenheit (> Rz 4, 5). Ein gewA kann deshalb auch dann begründet werden, wenn ein Stpfl einen längeren Aufenthalt beabsichtigt, dieser jedoch unplanmäßig abgebrochen wird (vgl EFG 1975, 446). Ein Stpfl kann mehrere Wohnsitze, aber nur einen gewA haben (BFH 85, 540 = BStBl 1966 III, 522; BFH/NV 2005, 1756 mwN; Unmöglichkeit der Bilokation); mit der Begründung eines neuen gewA wird der bisherige aufgegeben (EFG 2015, 2138 = DStRE 2016, 1521). Der Besitz einer Wohnung ist nicht erforderlich. Auch das Vorhandensein eines festen Mittelpunkts ist keine Voraussetzung für die Begründung eines gewA (vgl BFH/NV 2011, 1324). Maßgebend sind die tatsächlichen Verhältnisse (EFG 1991, 102). Auf den Willen, einen gewA zu begründen, kommt es allein nicht an. Das schließt nicht aus, dass zur Beurteilung des Sachverhalts auch die Pläne und Absichten des Stpfl herangezogen werden (BFH 123, 441 = BStBl 1978 II, 118). Zur Begründung eines gewA von Studierenden am Hochschulort > Wohnsitz Rz 13. Kein gewA im Inland, wenn der Stpfl sich dort zwar oft, aber ausschließlich vorübergehend und kurzfristig aufhält (EFG 1978, 548). Ebenso EFG 1988, 418 für Kinder ausländischer Staatsangehöriger, die im Heimatland leben und sich nur während der Schulferien bei den Eltern im Inland aufhalten (vgl BFH 174, 523 = BStBl 1994 II, 887). Ein ausländischer ArbN, der sich alljährlich nur wenige Monate im Inland aufhält und zwischenzeitlich eine ungewöhnlich lange Zeit im Heimatland verbringt, hat seinen gewA nicht im Inland (EFG 1978, 111). Das Gleiche gilt für Saisonarbeiter, deren Aufenthaltsabsicht von vornherein weniger als 6 Monate beträgt (BFH/NV 1990, 211; ab 6 Monaten > Rz 3). Ebenso für Pflegekräfte, die für jeweils nicht mehr als drei Monate tätig sind und dann für mehrere Wochen unter Aufgabe des Arbeitsverhältnisses ins Ausland zurückkehren (FG Münster vom 19.09.2019 – 5 K 3345/17 Kg, HaufeIndex 13 488 042). Bei durchschnittlich zwei Übernachtungen pro Woche im Inland wird dort kein gewA begründet (EFG 2015, 2138 bei einem Piloten). Anders, wenn Inlandsaufenthalte nacheinander folgen, die sachlich miteinander verbunden sind und der Stpfl von vornherein beabsichtigt, nicht nur vorübergehend im Inland zu verweilen (AEAO zu § 9 Nr 1 mwN). Aus einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung oder Arbeitserlaubnis kann nicht auf die Dauer der Anwesenheit des Stpfl geschlossen werden, zumal wenn die Möglichkeit der Verlängerung besteht; maßgebend ist alleine die tatsächliche körperliche Anwesenheit. Auch ein Zwangsaufenthalt zB im Krankenhaus oder Gefängnis begründet ggf einen gewA (BFH 103, 82 = BStBl 1971 II, 758; BFH/NV 1987, 262).
Rz. 3
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Der gewA im Inland wird kraft Gesetzes begründet bei einem zeitlich zusammenhängenden Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer, und zwar von Beginn an (§ 9 Satz 2 AO). Dabei kommt es nicht darauf an, wo genau im Inland sich die Person aufhält. So führt auch der Aufenthalt in einem Übergangswohnheim für Asylbewerber von mehr als sechs Monaten zur Begründung eines gewA (BFH/NV 2010, 2255). Durch diese nicht widerlegbare Aufenthaltsvermutung lassen sich in der Praxis oftmals Schwierigkeiten beim Nachweis des gewA iSv § 9 Satz 1 AO (> Rz 2) vermeiden. Bei der Berechnung des Sechsmonats-Zeitraums ist auf die Gesamtdauer, nicht auf das einzelne Kalenderjahr abzustellen (BFH 125, 59 = BStBl 1978 II, 425).
Kurzfristige Unterbrechungen des 6-monatigen Aufenthalts bleiben unberücksichtigt und werden bei der Berechnung des Zeitraums mitgerechnet (BFH/NV 2011, 2001). Der Stpfl muss sich also während der maßgebenden sechs Monate n...