Rz. 8
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Steuerbescheide und diesen gleichgestellte VA (> Rz 4 ff; ua Haftungsbescheide gehören nicht dazu), die weder unter dem > Vorbehalt der Nachprüfung (> Rz 5, 6) noch vorläufig (> Rz 7) ergangen sind und die nicht wegen einer offenbaren Unrichtigkeit (> Rz 3) berichtigt werden sollen, können unter den Voraussetzungen der §§ 172ff AO aufgehoben oder geändert werden. Die falsche Bezeichnung der Änderungsvorschrift im Änderungsbescheid macht diesen nicht rechtswidrig (BFH 247, 308 = BStBl 2015 II, 593). Für die Rechtmäßigkeit ist allein entscheidend, ob er im Zeitpunkt seines Erlasses durch eine Änderungsmöglichkeit gerechtfertigt wurde. Zur Zurückweisung von (massenhaft gestellten) Aufhebungs- oder Änderungsanträgen durch Allgemeinverfügung vgl § 172 Abs 3 AO.
1. Fälle des § 172 AO
a) Änderung mit Zustimmung des Steuerpflichtigen oder auf seinen Antrag (§ 172 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a AO)
Rz. 9
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Steuerbescheide und diesen gleichgestellte VA (> Rz 4 ff) dürfen geändert werden (§ 172 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a AO; sog > Schlichte Änderung):
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soweit der Stpfl bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist zustimmt oder soweit einem bis zu diesem Zeitpunkt gestellten Antrag entsprochen wird: zugunsten wie zuungunsten des Stpfl; |
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soweit der Stpfl erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist einer Änderung zustimmt oder soweit er sie nach diesem Zeitpunkt beantragt, nur zu seinen Ungunsten. Eine Änderung ,zugunsten’ setzt deshalb rechtzeitig eingelegte > Rechtsbehelfe voraus (BFH/NV 2018, 931). Ein Antrag auf > Schlichte Änderung ist aber nicht nur innerhalb der Rechtsbehelfsfrist nach dem Erlass des Steuerbescheids, sondern auch innerhalb der Klagefrist nach dem Erlass einer Einspruchsentscheidung zulässig (BFH/NV 2018, 322 = HFR 2018, 272). Wird der Antrag ,zugunsten’ zu spät gestellt, kann er ggf in einen Rechtsbehelf umgedeutet werden (> Wiedereinsetzung in den vorigen Stand). |
Rz. 9/1
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Der Änderungsantrag ist an keine Form gebunden; aus Beweisgründen ist jedoch Textform zu empfehlen. Will das FA eine Änderung vornehmen, so muss es zunächst die Zustimmung des Stpfl herbeiführen. Eine Änderung ohne Zustimmung macht sie aber nicht nichtig (§ 125 Abs 1, 2 AO im Umkehrschluss; BFH 85, 321 = BStBl 1966 III, 325); eine nachträgliche Genehmigung ist möglich (vgl § 126 Abs 1 Nr 1 AO). Erklärt sich der steuerliche Berater in der Schlussbesprechung mit einer vom FA vorgeschlagenen Behandlung bestimmter > Einkünfte einverstanden, stimmt er damit uU einer Änderung zu Ungunsten des Stpfl zu (BFH 203, 1 = BStBl 2004 II, 2).
Rz. 9/2
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist kann der Stpfl zwischen einem förmlichen Rechtsbehelf (Einspruch) und einem Antrag auf Änderung wählen. Im Einzelnen > Schlichte Änderung. Das bietet sich besonders an, wenn Stpfl und FA sich über die Änderung einig sind (> Rz 9/1 aE zur Änderung zu Ungunsten des Stpfl); ist dies nicht der Fall und begehrt der Stpfl zB > Aussetzung der Vollziehung, muss er Einspruch einlegen (§ 361 Abs 2 AO).
Rz. 10
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Eine Änderung nach § 172 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a AO ist nur insoweit zulässig, wie der Antrag oder die Zustimmung des Stpfl reicht (Punktänderung; vgl ua BFH 216, 31 = BStBl 2007 II, 503). Allerdings sind, soweit die Änderung reicht, auch alle anderen materiellen Fehler zu korrigieren (vgl § 177 AO; > Rz 52 ff). VA, die unanfechtbare VA ändern, können nur insoweit angefochten werden, als die Änderung reicht, es sei denn, dass sich gesetzlich etwas anderes ergibt (vgl § 351 Abs 1 AO).
b) Änderung des Verwaltungsakts einer sachlich unzuständigen Behörde (vgl § 172 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst b AO)
Rz. 11
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Ein VA kann geändert werden, soweit er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist. Zur sachlichen > Zuständigkeit Rz 1–4. Zur örtlichen Zuständigkeit > Rz 65.
c) Änderung eines erschlichenen Verwaltungsakts (vgl § 172 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst c AO)
Rz. 12
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Steuerbescheide und gleichgestellte VA können jederzeit geändert werden, soweit sie durch unlautere Mittel (zB arglistige Täuschung, Drohung oder > Bestechung) erwirkt worden sind (§ 172 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst c AO; vgl BFH 169, 197 = BStBl 1993 II, 13; BFH 176, 308 = BStBl 1995 II, 293). Arglistige Täuschung idS ist die bewusste und vorsätzliche Irreführung, durch die die Willensbildung der Behörde beeinflusst wird. Dazu gehört auch das pflichtwidrige Verschweigen entscheidungserheblicher Tatsachen (BFH/NV 2018, 1073). Nicht unlauter ist es, wenn der Stpfl dem FA gegenüber eine veränderte Rechtsauffassung vertritt (BFH 250, 322 = BStBl 2017 II, 13 – Verweis auf vom FA als unzutreffend angesehene > Lohnsteuerbescheinigung).
d) Änderungen nach Vorschriften in Einzelgesetzen (§ 172 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst d AO)
Rz. 13
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Neben den Vorschriften der AO enthalten Einzelsteuergesetze Änderungsvorschriften. So zB § 10d Abs 1 Satz 3 und 4, Abs 4 Satz 4 und 5 EStG (> Verluste Rz 40 ff); § 50d Abs 8 EStG (> Rz 44/3 Beispiel 7); § 70 Abs 2, 3 EStG (> Kindergeld Rz 60 ff); § 90 Abs 3 EStG (> Rz 66 ff); § 91 Abs 1 Satz 4 (Ermächtigung zur Änderung eines ESt-Bescheides aufgrund einer Mitteilung der ZfA [> Zentrale Stelle Rz 1], bei der es sich nicht um einen > Grundlagenbescheid handelt, BFH/NV 2021, 628; BFH 271, 105 = BFH/NV 2...