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Auf einen Blick: Entscheidet das FA nach Ermessen, gibt § 5 AO feste Regeln vor, deren Beachtung ggf gerichtlich überprüft werden kann. Sie werden hier im Kontext erläutert. |
A. Definition und Abgrenzung
1. Ermessen im juristischen Sinn
Rz. 1
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Zur sachgerechten Behandlung vielfältiger Sachverhalte verzichtet der Gesetzgeber in bestimmten Fällen auf eine am Regelfall ausgerichtete eindeutige Rechtsfolgeentscheidung und überlässt es dem Rechtsanwender, nach Ermessen zu entscheiden. Derartige Entscheidungen lässt der Gesetzgeber überwiegend im Verwaltungsrecht (> Rz 10 ff) zu, es gibt sie aber auch im Prozessrecht (> Rz 30 f) sowie in anderen Rechtsgebieten (> Rz 35). Unterschieden wird dabei zwischen dem Entschließungsermessen (> Rz 13), bei dem der Rechtsanwender darüber befindet, ob es überhaupt zu einer Rechtsfolge kommt, und dem Auswahlermessen, bei dem eine sachgerechte und zweckmäßige Maßnahme aus mehreren möglichen Maßnahmen gewählt wird. Dabei müssen die vom Gesetz vorgegebenen Grenzen beachtet werden (> Rz 16). Insoweit unterscheidet sich der Begriff Ermessen im juristischen Sinn von dem im allgemeinen Sprachgebrauch (> Rz 3).
Rz. 2
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Das Ermessen im juristischen Sinn bezieht sich im deutschen Recht stets auf die Rechtsfolge und nicht auf den Tatbestand bzw den Sachverhalt, der zu beurteilen ist. In anderen Rechtsordnungen wird dies zum Teil anders gehandhabt. Das gilt auch für das Recht der > Europäische Union, in dem einer Behörde auch bei der Beurteilung eines Sachverhalts ein Ermessen eingeräumt werden kann. Dies kann aber ausnahmsweise nur dann relevant sein, wenn bei der Rechtsanwendung eine Entscheidung einer EU-Behörde von Belang ist. Für die Anwendung von EU-Recht durch deutsche Behörden gilt das deutsche Verfahrensrecht.
2. Ermessen im allgemeinen Sprachgebrauch
Rz. 3
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff Ermessen auch für Sachverhalte benutzt, die rechtlich nicht geregelt sind und im Belieben einer Person stehen, weil sie rechtlich belanglos sind. So ist zB nicht geregelt, mit welcher Farbe eine > Steuererklärung in Papierform zu unterschreiben ist; dies liegt im Ermessen des Stpfl. Ebenso die formale Ausgestaltung eines > Lohnkonto Rz 10; es muss lediglich sichergestellt sein, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Einträge gemacht werden.
Rz. 4
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Ist eine Rechtsfolge von einem Antrag abhängig, liegt es – im umgangssprachlichen Sinn – im Ermessen des potentiellen Antragstellers, ob er diesen Antrag stellen will oder nicht. Dies ist kein Ermessen im juristischen Sinn, denn eine Antragstellung ist Teil des Tatbestands und nicht der Rechtsfolge. Nur wenn der ArbG einen Antrag auf > Pauschalierung der Lohnsteuer stellt (Sachverhalt bzw Tatbestandsvoraussetzung), treten die damit verbundenen Rechtsfolgen ein. Anders ist dies zu beurteilen, wenn die Antragstellung eine Rechtsfolge ist. So zB der mögliche Antrag auf Einschaltung einer Schiedskommission, wenn sich die zuständigen Behörden bei der Auslegung eines Abkommens zur Vermeidung der > Doppelbesteuerung nicht verständigen können.
3. Abgrenzung von unbestimmten Rechtsbegriffen
Rz. 5
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Der Gesetzgeber ist oft gehalten, einen Tatbestand abstrakt und mehrdeutig zu formulieren, um alle Sachverhalte zu erfassen, an die eine Rechtsfolge geknüpft werden soll. Vage oder mehrdeutige Begriffe, die – anders als Legaldefinitionen – im Gesetz nicht definiert sind, werden als unbestimmte Rechtsbegriffe bezeichnet. Bei der Subsumtion, dh der Prüfung, ob ein bestimmter Sachverhalt alle Tatbestandsmerkmale erfüllt, sind unbestimmte Rechtsbegriffe auszulegen. Dabei gibt es jedoch keinen Spielraum, eine Auslegung ist entweder zutreffend oder falsch, was gerichtlich in vollem Umfang überprüft und korrigiert werden kann. Nur in Ausnahmefällen, zB bei Prüfungsentscheidungen oder beamtenrechtlichen Beurteilungen, wird der Verwaltung ein begrenzter Entscheidungsfreiraum zuerkannt (vgl BVerfG vom 17.04.1991 – 1 BvR 419/81 und 213/83, BVerfGE 84, 34–58). Enthält eine Rechtsnorm bei der Beschreibung des Tatbestands einen unbestimmten Rechtsbegriff und lässt bei der Rechtsfolge eine Ermessensentscheidung zu, wird in der Literatur von einer Kopplungsvorschrift gesprochen.
Rz. 6
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Wird in einer Rechtsnorm, die eine Ermessensentscheidung zulässt, ein unbestimmter Rechtsbegriff verwendet, ist es nach der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Bundesgerichte (BFH 105, 101 = BStBl 1972 II, 603) nicht möglich, den unbestimmten Rechtsbegriff der Tatbestandsseite zuzuordnen. Zu entscheiden war über die Frage, ob die Vorschrift des § 131 Abs 1 Satz 1 Reichsabgabenordnung idF des StÄndG 1961, wonach Steuern erlassen werden können, wenn ihre Einziehung unbillig wäre, von den Gerichten hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "unbillig" voll überprüft werden kann. Die ablehnende Entscheidung ist vielfach kritisiert worden (vgl H/H/Sp/Wernsmann, § 5 AO Rz 93 und T/K/Drüen, § 5 AO Rz 25). Folgte man jedoch der Auffassung, der unbestimmte Rechtsbegriff "unbillig" sei von den ...