a) Territorialitätsprinzip mit Ausnahmen
Rz. 12
Stand: EL 136 – ET: 11/2023
Das Territorialitätsprinzip verweist nicht unbeschränkt steuerpflichtige Ausländer auf das KiG oder eine vergleichbare Leistung in ihrem Wohnsitzland. Deshalb hat ein Ausländer, der sich lediglich im Rahmen einer ausländerrechtlichen Duldung im > Inland aufhält, keinen Anspruch auf KiG (BFH 217, 443 = BStBl 2009 II, 905; BFH 220, 45 = BStBl 2009 II, 913).
Ausländer ist eine natürliche Person ohne deutsche > Staatsangehörigkeit iSd Art 116 Abs 1 GG (vgl Hildesheim, DStZ 2000, 25). Ein Statusdeutscher iSd BVFG ist aber kein Ausländer (vgl EFG 2000, 573).
Diese grundsätzliche Beschränkung des KiG-Anspruchs auf im Inland auf Dauer bleibeberechtigte Ausländer und damit an ihre Integration in § 62 Abs 2 Satz 1 EStG hat der BFH trotz BVerfG 132, 72 vom 10.07.2012 – 1 BvL 2/10, BGBl 2012 I, 1898 für verfassungsgemäß erklärt (vgl BFH 220, 45 = BStBl 2009 II, 913; BFH 229, 262 = BStBl 2010 II, 980; BFH/NV 2011, 248; 2013, 1417; 2014, 517). Das BVerfG hat jedoch in seiner Entscheidung vom 28.06.2022 (BVerfG – 2 BvL 9/14, BGBl 2022 I, 1450) § 62 Abs 2 Nr 3 Buchst b EStG aF als unvereinbar mit Art 3 Abs 1 GG und somit für verfassungswidrig erklärt. Auch gegen die Neufassung des Abs 2 (> Rz 7/6) gibt es verfassungsrechtliche Bedenken (vgl BT-Drs 19/13436, S 234f). Zum Territorialitätsprinzip in Bezug auf das Kind > Rz 16 ff.
Rz. 12/1
Stand: EL 136 – ET: 11/2023
Zu den vielfältigen Ausnahmen vom Territorialitätsprinzip im Einzelnen > Rz 12/2 – 14ff. Zu weiteren KiG-Berechtigten nach dem BKGG > Rz 95 ff [97]. Für eine > Juristische Person, die den Unterhalt des Kindes trägt, kommt eine Abzweigung oder Erstattung iSv § 74 EStG in Betracht (> Rz 80 ff).
b) Freizügigkeitsberechtigte
Rz. 12/2
Stand: EL 136 – ET: 11/2023
Durch die Einfügung des Abs 1a in § 62 EStG wird der KiG-Anspruch für Freizügigkeitsberechtigte ab dem 01.08.2019 neu geregelt. Davor hatten in Deutschland lebende freizügigkeitsberechtigte Staatsangehörige eines anderen EU- oder EWR-Mitgliedstaats (zu den EU/EWR-Staaten > Europäische Union) sowie der Schweiz (vgl § 62 Abs 2 iVm Abs 1 EStG) ohne zeitliche Beschränkung Anspruch auf KiG. Weitere Hinweise zur Schweiz > Rz 33. Sie benötigten keine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis (> Rz 13), sondern hatten, wenn sie im Inland wohnten, grundsätzlich unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf KiG wie Deutsche (> Europäische Union Rz 5 ff). Einzelheiten ergaben sich aus den Verordnungen (EG) Nr 883/2004 und 987/2009 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Darüber hinaus galt das Gleichbehandlungsgebot gemäß den Verträgen über die EU (> Rz 8). Ebenso, wenn das Kind nicht in Deutschland lebte (> Rz 23). Zur Identifizierung des Kindes > Rz 19.
Rz. 12/3
Stand: EL 136 – ET: 11/2023
Die Freizügigkeitsberechtigung gilt grundsätzlich für alle, die einer Beschäftigung nachgehen sowie für Personen, die in der Lage sind, sich selbst zu unterhalten. Sie beruht in Deutschland auf dem FreizügG/EU vom 30.07.2004 (BGBl 2004 I, 1950 [1986]). Zur Berechtigung von Unionsbürgern während der Geltung von Übergangsbestimmungen, die die Aufnahme einer Beschäftigung einschränken, vgl BFH 248, 519 = BStBl 2015 II, 901. Die Freizügigkeitsberechtigung muss mit einer Bescheinigung des ausländischen Versicherungsträgers darüber nachgewiesen werden, dass der Betroffene in irgendeinem Zweig der sozialen Sicherheit in einem EU-Mitgliedstaat versichert ist (vgl BFH 234, 316 = BStBl 2013 II, 619; andernfalls kein Anspruch – BFH 248, 20 = BStBl 2018 II, 394). Die Zuständigkeit nur eines Mitgliedstaates soll einheitlich für alle Systeme der sozialen Sicherheit getroffen werden und gilt deshalb auch hinsichtlich des KiG (BFH 200, 205 und 211 = BStBl 2002 II, 869; BFH/NV 2002, 1584; 2003, 29). Derartige Bescheinigungen aus einem anderen Staat sind für die Familienkassen bindend (BFH 234, 316 = BStBl 2013 II, 619; BFH 237, 412 = BStBl 2013 II, 623; BFH/NV 2012, 1765); auch wenn sie in ausländischer Sprache vorgelegt werden (BFH/NV 2014, 681). Zur Prüfungskompetenz des FG für die Freizügigkeitsberechtigung vgl BFH 258, 16 = BStBl 2017 II, 963.
Rz. 12/4
Für Zeiträume ab August 2019 besteht nach § 62 Abs 1a Satz 1 EStG iVm § 52 Abs 49a Satz 1 EStG für Berechtigte mit EU- bzw EWR-Staatsangehörigkeit erst ein Anspruch auf KiG nach den ersten drei Monaten nach Begründung des Wohnsitzes bzw des gewöhnlichen Aufenthalts. Diese zeitliche Beschränkung gilt nicht bei Erzielung von inländischen Gewinneinkünften oder nichtselbständigen Einkünften (§ 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1–4 EStG) mit Ausnahme von Einkünften iSd § 19 Abs 1 Satz 1 Nr 2 EStG (> Wartegelder, > Beamtenpension, > Waisengelder). Ab dem vierten Monat besteht sodann Anspruch auf KiG, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 und 3 FreizügG/EU (Recht auf Einreise und Aufenthalt) vorliegen. Für Arbeitsuchende iSd § 2 Abs 2 Nr 1a FreizügG/EU gilt dies nur, wenn vorher eine andere der in § 2 Abs 2 FreizügG/EU genannten Voraussetzungen erfüllt war (§ 62 Abs 1a Satz 3 EStG). Zur Prüfungskompetenz der Finan...