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Auf einen Blick: Ein Rechtsstreit ist nicht selten kostenintensiv. Die dabei anfallenden Aufwendungen werden bei der Ermittlung der Einkünfte nur berücksichtigt, wenn sie Erwerbsaufwendungen, also Betriebsausgaben (§ 4 Abs 4 EStG) oder Werbungskosten (§ 9 EStG), sind. Darüber hinaus sind Aufwendungen nur dann abzugsfähig, wenn sie als außergewöhnliche Belastungen iSv § 33 EStG zur Abwehr einer existenziellen Bedrohung aufgewendet werden. |
A. Grundsätzliches
I. Werbungskosten
Rz. 1
Stand: EL 132 – ET: 12/2022
Prozesskosten können > Betriebsausgaben, > Werbungskosten oder nicht abziehbare Aufwendungen für die > Lebensführung sein. Zu > Außergewöhnliche Belastungen Rz 3. Prozesskosten teilen als Folgekosten das steuerliche Schicksal des Gegenstands eines Rechtsstreits: Sind die streitgegenständlichen Aufwendungen beruflich veranlasst, sind auch die Prozesskosten abziehbar (BFH 152, 237 = BStBl 1988 II, 431; BFH 173, 124 = BStBl 1994 II, 323 unter II 2c mwN). Entsteht ein weiterer Prozess über die Anwaltskosten, so handelt es sich ebenfalls um Folgekosten, die das rechtliche Schicksal der Hauptsachekosten teilen (BFH 140, 219 = BStBl 1984 II, 314).
Rz. 2
Stand: EL 132 – ET: 12/2022
Zu den Prozesskosten zählt alles, was die Parteien unmittelbar aufwenden müssen, um einen Rechtsstreit zu führen (Gerichts-, Gutachter- und Anwaltskosten). UE gehören auch Reisekosten zum Prozessort dazu, soweit sie BA/WK sind, weil auch sie beruflich veranlasst sind; für den Verpflegungsmehraufwand ist allerdings § 9 Abs 4a EStG zu beachten (Abzugsbeschränkung auf Pauschalen; > Reisekosten Rz 35 ff). Im Übrigen gehören uE alle Aufwendungen, die eine unterlegene Partei aufgrund einer gerichtlichen Kostenentscheidung der Gegenseite erstatten müsste, zu den beruflich veranlassten Aufwendungen. Auch die aufgrund einer Honorarvereinbarung geleisteten Aufwendungen sind beim WK-Abzug der Höhe nach nicht begrenzt (BFH 219, 197 = BStBl 2008 II, 223; anders bei AgB > Rz 4). Zeitaufwand für die Bearbeitung eines Verfahrens in eigener Sache begründet keine WK, da insoweit keine Aufwendungen entstehen (> Werbungskosten Rz 20). Etwaige Leistungen der unterlegenen Prozesspartei, aus einer (Rechtsschutz-)Versicherung oder einer Prozesskostenhilfe sind im Rahmen der Vorteilsanrechnung zu berücksichtigen (BFH 234, 30 = BStBl 2011 II, 1015).
II. Außergewöhnliche Belastungen
1. Rechtsentwicklung
Rz. 2/1
Stand: EL 132 – ET: 12/2022
Für die Abzugsfähigkeit von Zivilprozesskosten als AgB hatte der BFH in langjähriger Rechtsprechung drei Fallgruppen entwickelt, in denen er eine Zwangsläufigkeit bejahte und die Aufwendungen zum Abzug zuließ. Dies waren Aufwendungen für
1. > Ehescheidung,
2. Prozesse, die einen existenziell wichtigen Bereich oder
3. den Kernbereich menschlichen Lebens berühren.
Neben den Scheidungskosten (Fallgruppe 1) wurden Prozesskosten vom BFH ganz überwiegend nur dann als AgB anerkannt, wenn ein Stpfl ohne den Prozess Gefahr lief, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können (Fallgruppe 2, vgl BFH 181, 12 = BStBl 1996 II, 596; BFH/NV 2009, 553). Unter dem Gesichtspunkt, dass ein Kernbereich des menschlichen Lebens berührt sei (Fallgruppe 3), wurden vom BFH Aufwendungen in einem Familienrechtsstreit über das Umgangsrecht eines Vaters mit seinen Kindern anerkannt (vgl BFH 198, 94 = BStBl 2002 II, 382).
Rz. 2/2
Stand: EL 132 – ET: 12/2022
Mit Urteil vom 12.05.2011 (BFH 234, 30 = BStBl 2011 II, 1015) änderte der BFH seine Rechtsprechung und vertrat (vorübergehend; siehe > Rz 2/5) die Auffassung, Prozesskosten seien wegen des Gewaltmonopols des Staates, sofern es sich nicht um WK/BA handele, stets als AgB zu berücksichtigen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine.
Rz. 2/3
Stand: EL 132 – ET: 12/2022
Die FinVerw wandte das BFH-Urteil (> Rz 2/2) bereits vor der Gesetzesänderung (> Rz 2/4, 3) nicht allgemein an (> Nichtanwendungserlass in BMF vom 20.12.2011, BStBl 2011 I, 1286). Sie begründet dies damit, dass für eine eindeutige, zuverlässige und rechtssichere Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Zivilprozesses bzw der Motive der Verfahrensbeteiligten keine Instrumente zur Verfügung stehen.
Rz. 2/4
Stand: EL 132 – ET: 12/2022
Der Gesetzgeber reagierte auf das Urteil des BFH (> Rz 2/2) mit einer Änderung des § 33 Abs 2 EStG (vgl Art 2 des AmtshilfeRLUmsG vom 26.06.2013, BGBl 2013 I, 1809), indem er dort einen Satz 4 einfügte, wonach Prozesskosten vom Abzug als AgB ausgeschlossen sind, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen, ohne die der Stpfl Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Er lässt damit ab dem VZ 2013 nur noch die Aufwendungen zum Abzug als AgB zu, die vom BFH vor der Änderung seiner Rechtsprechung in der Fallgruppe 2 (> Rz 2/1) berücksichtigt hatte, nicht jedoch Scheidungskosten und Prozesskosten, die den Kernbereich menschlichen Lebens berühren. ...