Rz. 35
Stand: EL 127 – ET: 08/2021
Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf Haftungsbescheide entsprechend anzuwenden (§ 191 Abs 3 Satz 1 AO). Damit werden jedoch nicht die Regelungen in § 171 Abs 4 AO (> Rz 28) übernommen, der in seinen Sätzen 1 und 2 lediglich die Zulässigkeit der Änderung von Steuerbescheiden regelt; erst Satz 3 betrifft die Verjährung. Für die Änderung von Haftungsbescheiden gelten aber nicht die für Steuerbescheide anzuwendenden Änderungsvorschriften (§§ 172ff AO), sondern die für sonstige Verwaltungsakte getroffenen Regelungen der §§ 130ff AO (BFH 174, 363 = BStBl 1994 II, 715; ergänzend > Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten Rz 4, 56 ff).
Rz. 36
Stand: EL 127 – ET: 08/2021
Die idR vierjährige Festsetzungsfrist für den Erlass eines Haftungsbescheids verlängert sich bei Steuerstraftaten ggf auf fünf bzw zehn Jahre (> Rz 21). Beruht die Haftung auf § 69 AO (> Haftung für Lohnsteuer Rz 155 ff), sind haftungsbegründende Pflichtverletzungen die Nichtabgabe der LSt-Anmeldungen und die Nichtabführung der sich daraus ergebenden Anmeldungssteuern (BFH 220, 307 = BStBl 2008 II, 597 mwN; vgl § 191 Abs 3 Satz 4 HS 1 AO; > Haftung für Lohnsteuer Rz 38 ff).
Rz. 37
Stand: EL 127 – ET: 08/2021
Steuer- und Haftungsbescheide stehen nicht im Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid (BFH 209, 392 = BStBl 2006 II, 343). Deshalb wird der Ablauf der Festsetzungsfrist eines Haftungsbescheids nicht dadurch gehemmt, dass die Festsetzungsfrist über den > Steuerbescheid hinsichtlich der Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht abgelaufen ist (BFH 209, 392 aaO). Die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid endet aber nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die LSt, für die gehaftet wird (§ 191 Abs 3 Satz 4 HS 1 AO); sind deshalb die Steuerabzüge, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist. Hat ein ArbG einen LSt-Haftungsbescheid nur hinsichtlich bestimmter einzelner Haftungstatbestände angefochten, sodass der die übrigen Haftungsansprüche betreffende Teil des Sammelhaftungsbescheids bestandskräftig wird (BFH 147, 323 = BStBl 1986 II, 921), unterliegt jeder dieser "Einzelbescheide" einer eigenen Festsetzungsfrist (vgl Buciek, BB 1987, 800).
Beispiel 1:
Der ArbG A hat bei dem ArbN B im Dezember 2017 irrtümlich einen Barbezug steuerfrei belassen. B, der von Amts wegen zur ESt veranlagt wird, reicht seine Steuererklärung für 2017 erst 2019 ein. Der in der LSt-Bescheinigung vom ArbG nicht berücksichtigte Barbezug wird bei der Veranlagung nicht erfasst.
Infolge der Anlaufhemmung des § 170 Abs 2 Nr 1 AO kann der ESt-Bescheid 2017 noch bis zum 31.12.2023 geändert werden. Zu diesem Zeitpunkt endet auch die Festsetzungsfrist für den LSt-Haftungsbescheid (§ 191 Abs 3 Satz 4 AO).
Beispiel 2:
Der Geschäftsführer einer in Liquiditätsschwierigkeiten befindlichen GmbH hat die einbehaltene LSt nicht angemeldet. Innerhalb der Festsetzungsfrist kann das FA von sich aus die LSt gegenüber der GmbH durch > Steuerbescheid festsetzen (§ 167 Abs 1 AO; > R 41a.1 Abs 4 LStR). Es kann aber auch den Geschäftsführer haftbar machen (> Haftung für Lohnsteuer Rz 155 ff). Die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid endet nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die anzumeldende LSt (> Rz 14).
Ist die Steuer, für die gehaftet wird, bereits festgesetzt worden, endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Steuerfestsetzung (§ 191 Abs 3 Satz 4 HS 2 iVm § 171 Abs 10 AO). Die sinngemäße Anwendung von § 171 Abs 10 AO bezieht sich lediglich auf den Zwei-Jahres-Zeitraum (BFH 209, 392 = BStBl 2006 II, 343).
Rz. 38
Stand: EL 127 – ET: 08/2021
Kann die Steuer gegenüber dem Steuerschuldner, zB einem ArbN, wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr festgesetzt werden, darf das FA auch den ArbG oder eine sonst für die Haftung in Betracht kommende Person nicht mehr in Anspruch nehmen (§ 191 Abs 5 Nr 1 AO; vgl BFH 169, 208 = BStBl 1993 II, 169). Das gilt auch, wenn der Steuerschuldner beschränkt steuerpflichtig ist (BFH 148, 507 = BStBl 1987 II, 293). Entsprechendes gilt, wenn dem Steuerschuldner die Steuer erlassen worden ist oder eine gegen den ArbN (Steuerschuldner) festgesetzte Steuer verjährt ist (§ 191 Abs 5 Nr 2 AO; Zahlungsverjährung > Rz 45 ff). Anders, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat (§ 191 Abs 5 Satz 2 AO).
Beispiel 3:
Sachverhalt wie Beispiel 1. B wird aber nicht von Amts wegen zur ESt veranlagt; er hat einen Antrag auf Veranlagung für 2017 nicht gestellt.
Das FA kann gegen den ArbG nach dem 31.12.2021 keinen Haftungsbescheid mehr erlassen, weil nur bis zu diesem Zeitpunkt ein Nachforderungsbescheid gegen den ArbN ergehen darf (§§ 170 Abs 1, 191 Abs 5 Nr 1 AO). § 191 Abs 3 Satz 3 AO tritt hier zurück. Nach dieser Vorschrift, die auf den Zeitpunkt der LSt-Abfüh...