Rz. 4
Stand: EL 119 – ET: 10/2019
Einen Wohnsitz (von ggf mehreren; > Rz 2) hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO; vgl AEAO zu § 8). Gemeint ist damit der geografische Ort (Kommune). Im Regelfall ist die "Wohnung" iSv § 8 AO ein den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Stpfl angemessenes Heim (BFH 182, 296 = BStBl 1997 II, 447), das für ihn und die ganze Familie räumlicher Mittelpunkt der Lebensinteressen ist. § 8 AO stellt aber im Hinblick darauf, dass ein Stpfl an unterschiedlichen Orten eine Wohnung innehaben kann (> Rz 2, 11), wesentlich geringere Anforderungen: Eine Mindestgröße ist nicht erforderlich; es genügt eine bescheidene Bleibe, zB ein Apartment von 26 qm (EFG 2011, 1133, dazu Eich, EStB 2011, 269; > Rz 5 Beispiel 1). Sie muss nicht der Lebensmittelpunkt sein (BFH/NV 2008, 351). Die Räume müssen lediglich zum dauernden Bewohnen geeignet sein. Nicht erforderlich ist eine abgeschlossene Wohnung mit eigener Küche und abgetrennter Waschgelegenheit bzw, dass das zur Wohnung gehörende Bad in den Wohnbereich integriert ist. In rechtlicher Hinsicht reicht es aus, wenn die Wohnung mit einfachsten Mitteln ausgestattet ist. Ob die Ausstattungsgegenstände vom Vermieter gestellt oder vom Stpfl beschafft worden sind, kommt es nicht an (AEAO zu § 8 Nr 2). Ergänzend auch FG Münster vom 21.03.2019 – 14 K 3668/17 Kg.
Beispiel:
Hat ein Pilot hat ein vollmöbliertes sog Standby-Zimmer in einer Wohnung mit Küche und Bad angemietet, das ihm zur alleinigen Nutzung zur Verfügung steht, und sucht er dieses Zimmer in Abhängigkeit von seinen Dienstplänen mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf, hat er einen Wohnsitz iSv § 8 AO begründet (FG HH vom 31.01.2013 – 6 K 224/12, NZB als unzulässig verworfen, BFH vom 10.10.2013 – I B 45/13).
Rz. 4/1
Stand: EL 119 – ET: 10/2019
Keine Wohnung iSv § 8 AO ist die kurzfristige, lediglich vorübergehende oder eine notdürftige Unterbringungsmöglichkeit. "Bewohnen" iSv § 8 AO ist mehr als ein bloßer Aufenthalt oder eine Übernachtung (AEAO zu § 8 Nr 2; > Rz 5). So wird in einer vom ArbG gestellten Gemeinschaftsunterkunft kein Wohnsitz begründet (RFH, RStBl 1941, 770; 881). Gestattet bei einer Wohngemeinschaft die geringe Wohnungsgröße kein gemeinsames Wohnen, sondern lediglich ein gemeinsames Übernachten, ist ebenfalls kein Wohnsitz iSv § 8 AO gegeben (BFH/NV 2013, 1909). Ergänzend zu Standby-Wohnungen oder derartigen Zimmern mit eingeschränkter Nutzungsmöglichkeit > Rz 5. Die ausschließliche Nutzung als Betriebsstätte, Büro, Ladengeschäft, Warenlager oder Ähnliches stellt keine Nutzung zu Wohnzwecken und deshalb keinen Wohnsitz iSv § 8 AO dar (BFH 246, 389 = BStBl 2015 II, 135; AEAO zu § 8 Nr 4.1).
Rz. 5
Stand: EL 119 – ET: 10/2019
Zum Innehaben gehört die Verfügungsmacht über die Wohnung (BFH 155, 29 = BStBl 1989 II, 182; AEAO zu § 8 Nr 3). Ist der Stpfl weder Eigentümer noch Mieter der Wohnung, reicht es aus, wenn er sie tatsächlich nutzen kann. Deshalb reicht ggf die Verfügungsmacht einer dem Stpfl nahe stehenden Person aus (vgl FG BW vom 30.01.2002, BeckRS 2002, 21 011 309; einschränkend > Rz 8, 9). Das Wesen des steuerlichen Wohnsitzes besteht darin, dass objektiv die Wohnung ihrem "Inhaber" – wann immer er es wünscht – als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv auch zu entsprechender Nutzung bestimmt ist (BFH 174, 523 = BStBl 1994 II, 887). Sind diese Voraussetzungen objektiv gegeben, so kommt es auf den Willen, die Absicht oder das Bewusstsein des Stpfl, an diesem Platz einen Wohnsitz mit rechtlichen Folgen zu begründen (oder nicht zu begründen), nicht an (BFH 155, 29, aaO; BFH/NV 2002, 311; 2004, 917). Maßgebend sind alleine die tatsächlichen Lebensverhältnisse (BFH/NV 2012, 1477 mwN). Ob im Einzelfall eine Nutzung zu Wohnzwecken gegeben ist, muss unter Würdigung der Gesamtumstände nach den Verhältnissen des jeweiligen Veranlagungszeitraums oder Anspruchszeitraums beurteilt werden (> Rz 4; AEAO zu § 8 Nr 1.1).
Beispiel 1:
Für die im Ausland ansässige Flugbegleiterin (F) hat ihre Airline Köln als Einsatzflughafen bestimmt. Weil von ihr erwartet wird, dass sie ausgeruht ihren Dienst antritt, hat die F als Alternative zur Übernachtung in einem Hotel in Flughafennähe ein kleines Apartment angemietet, in dem sie 2–3 Mal monatlich übernachtet (sog "Stand-by-Wohnung").
F hat damit in Deutschland einen Wohnsitz begründet, da sie die Wohnung auf Dauer zu Wohnzwecken nutzen kann. Die Ansicht der Stpfl, es handele sich nur um eine Schlafstelle als Hotelersatz, sowie die einfache Ausstattung und geringe Anzahl der Übernachtungen sind unbeachtlich (EFG 2011, 1133).
An der objektiven Eignung fehlt es bei sog Standby-Wohnungen oder -Zimmern jedoch dann, wenn aufgrund von Vereinbarungen oder Absprachen zwischen den Wohnungsnutzern die Nutzungsmöglichkeit des Stpfl derart beschränkt ist, dass er die Wohnung oder das Zimmer nicht jederzeit für einen Wohnaufenthalt nutzen kann ...