Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Änderung bestandskräftiger Umsatzsteuerbescheide wegen EU-Rechtswidrigkeit des nationalen Umsatzsteuerrechts
Leitsatz (redaktionell)
- Bestandskräftige USt-Bescheide sind nicht abweichend von den nationalen Vorschriften der AO nach Grundsätzen des europäischen Gemeinschaftsrechts zu ändern.
- Die Aufhebung eines rechtswidrigen belastenden bestandskräftigen VA kommt nur in Betracht, wenn sie durch eine nationale Regelung ermöglicht wird. Daher ist ein bestandskräftiger Steuerbescheid nicht änderbar, wenn das nationale Recht hierfür keine Rechtsgrundlage vorsieht.
Normenkette
AO § 172
Streitjahr(e)
1987, 1988, 1989, 1990, 1991
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob bestandskräftige Steuerbescheide aufgrund der sog. „Emmottschen Fristhemmung” geändert werden können.
Die Klägerin, eine GmbH, erzielte in den Streitjahren 1987-1991 u.a. Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit.
Nach einer Außenprüfung ergingen am 9. März 1992 nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1987-1990; der Beklagte hob in diesen Bescheiden den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Für das Jahr 1991 verarbeitete der Beklagte die 1992 eingereichte Umsatzsteuererklärung ohne Abweichung. Für die Jahre ab 1992 setzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen aufgrund einer umsatzsteuerlichen Organschaft bei dem Gesellschafter-Geschäftsführer J an.
Unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH vom 5. Mai 1994 – Glawe – zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlage bei Umsätzen aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeiten, in dem es um die Anwendung des Vervielfältigers ging, reichte die Klägerin am 21. Dezember 1994 eine geänderte Umsatzsteuererklärung für 1991 ein. Außerdem legte sie gegen die Umsatzsteuerbescheide 1987-1990 vom 9. März 1992 am 21. Juli 1995 Einspruch ein und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Der Beklagte änderte die Umsatzsteuerfestsetzung 1991 mit Bescheid vom 10. April 1995 erklärungsgemäß. Die Einsprüche für 1987-1990 hat der Beklagte unter Hinweis auf die Bestandskraft der Umsatzsteuerbescheide mit Einspruchsbescheid vom 28. Mai 1999 als unzulässig verworfen. Klage hat die Klägerin damals nicht erhoben.
Am 18. März 2005 ging beim Beklagten ein Einspruchsschreiben der V Steuerberatungsgesellschaft, wiederum verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag, ein, und zwar gerichtet gegen „sämtliche seit dem 1.1.1978 ergangenen und bestandskräftig gewordenen Umsatzsteuerbescheide”. Im Betreff des Schreibens führt die Steuerberatungsgesellschaft den Namen J auf. Der Beklagte hat die Einsprüche zunächst ruhen lassen. Im weiteren Verlauf teilte er dem Bevollmächtigten die Steuernummern der Klägerin und des J mit.
Mit Schreiben vom 3. April 2007 nahm der Bevollmächtigte zur Sache Stellung. Im Betreff nannte er nunmehr sowohl die Klägerin als auch J und gab zudem beider Steuernummer an. Er erklärte, dass er im Auftrage „unserer o. g. Mandanten” die Einsprüche nicht zurücknehme. Er halte seinen Antrag vom 18. März 2005 weiter aufrecht.
Mit Einspruchsbescheid vom 29. Mai 2009 hat der Beklagte die Einsprüche wiederum als unzulässig verworfen.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide 1987-1991 unter Bezugnahme auf die EuGH-Entscheidung vom 17. Februar 2005 C-453/02 „Linneweber”. Sie meint, dass ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei, weil sie ohne Verschulden gehindert gewesen wäre, während der Rechtsmittelfrist einen Rechtsbehelf einzulegen. Die Angelegenheit befinde sich im zweiten Rechtsgang, weil das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BFH vom 23. November 2006 V R 67/05 nicht zur Entscheidung angenommen habe. Das Bundesverfassungsgericht habe aber entschieden, dass der BFH verpflichtet gewesen sei, seinen Fall dem EuGH vorzulegen.
Die Klägerin verweist auf ein von ihr als Musterverfahren bezeichnetes Klageverfahren beim Finanzgericht Schleswig-Holstein, in dem eine Vorlage an den EuGH beantragt worden sei und begehrt im Hinblick darauf die Aussetzung des Verfahrens.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass sie nicht beziffern könne, in welchem Umfang die Umsätze für die Streitjahre 1987-1991 auf Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit entfallen würden.
Die Klägerin beantragt,
Umsatzsteuer für die Streitjahre 1987 bis 1991 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Umsatzsteuerbescheide 1987-1991 nicht mehr geändert werden könnten. Die Umsatzsteuerbescheide 1987-1990 vom 12. März 1992 seien nicht innerhalb der Einspruchsfrist mit dem Einspruch angegriffen worden. Für den Umsatzsteuerbescheid 1991 sei der Vorbehalt der Nachprüfung spätestens mit Eintritt der Festsetzungsverjährung weggefallen. Die im Jahre 2005 eingelegten Einsprüche seien von daher verspätet. Hinsichtlich der Wiedereinsetzung und der Frage der „Emmottsche...