Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine einstweilige Anordnung zur vorläufigen Einstellung der Vollstreckung nach § 258 AO bis zur Klärung des Vorliegens der Voraussetzungen eines steuerfreien Sanierungsgewinns durch eine Billigkeitsentscheidung nach § 163 AO im Hauptsacheverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird der Anspruch auf eine einstweilige Anordnung zur vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO auf eine im Hauptsacheverfahren zu beurteilende Billigkeitsmaßnahme gem. §§ 163, 227 AO gestützt, kommt eine einstweilige Anordnung nur in Betracht, wenn für eine der Antragstellerin günstige Billigkeitsentscheidung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Hiervon ist nicht auszugehen, wenn im Hauptsacheverfahren streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines steuerfreien Sanierungsgewinns nach Maßgabe des BMF-Schreibens v. 27.3.2003 (BStBl I 2003, 240) vorliegen und die Klägerin einen Anspruch auf eine abweichende Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO bzw. auf einen Billigkeitserlass nach § 227 AO hat.
2. Es ist in der Rechtsprechung umstritten, ob das BMF-Schreiben v. 27.3.2003 (BStBl I 2003, 240) – nach erfolgter Streichung von § 3 Nr. 66 EStG a. F. über die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen– überhaupt einen Rechtsanspruch der Antragstellerin auf Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme begründen könnte. Das gilt selbst dann, wenn die Voraussetzungen zur Annahme eines begünstigten Sanierungsgewinns gem. Tz. 4 des BMF-Schreibens erfüllt sind.
Normenkette
EStG 1990 § 3 Nr. 66; AO §§ 163, 227, 258; FGO § 114 Abs. 1-2
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
Tatbestand
I.
Die tätige Antragstellerin beantragt im Wege der einstweiligen Anordnung die einstweilige Einstellung bzw. Beschränkung der Vollstreckung (§ 258 AO) aus dem Körperschaftsteuerbescheid 2001 vom 10.04.2012. Im Hauptsacheverfahren (4 K 1783/12) begehrt sie u.a. eine abweichende Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO auf der Grundlage des BMF-Schreibens vom 27.03.2003 (BStBl I 2003, 240), weil ein nach dem BMF-Schreiben steuerbegünstigter Sanierungsgewinn vorliege.
Im Rahmen einer Außenprüfung wurde folgender Sachverhalt festgestellt (vgl. Tz. 2.2 des Prüfungsberichts vom 14.09.2009 des FA für Groß- und Konzernbetriebsprüfung B.): Mit notariellem Vertrag vom 21.12.2001 hat die T ihren Geschäftsanteil an der Antragstellerin von 70 % mit Wirkung zum 31.12.2001 an die übrigen Gesellschafter zum Nennwert von 18.200 EUR verkauft und abgetreten. Weiterhin haben T und deren Muttergesellschaft zum 31.12.2001 auf Forderungen i.H. von 335.118 EUR gegenüber der Antragstellerin verzichtet. Die im Dezember 1999 gegründete Antragstellerin hatte zuvor ausschließlich Verluste erzielt und wies in der Handelsbilanz zum 31.12.2001 vor Forderungserlass ein negatives Kapital von insgesamt 224.088 EUR aus. Aus einer vor dem Übertragungszeitpunkt von T. und deren Muttergesellschaft unterzeichneten Erklärung vom 30.12.2001 ergab sich, dass Zielsetzung des erklärten Forderungsverzichts war, der Antragstellerin einen Neuanfang ohne Forderungen und Verbindlichkeiten, ausgestattet lediglich mit dem vorhandenen Anlagevermögen „von Null” zu ermöglichen. Die Erklärung enthielt außerdem den Passus, wonach aus der Übernahme sämtlicher Forderungen und Verbindlichkeiten durch die Verkäuferin sich auf deren Verrechnungskonto bei der Antragstellerin ein Saldo zu Gunsten von T. ergebe. Auf diese Forderung werde verzichtet. Im Zeitpunkt des Forderungsverzichts war die Antragstellerin überschuldet. Der Buchwert des Anlagevermögens betrug 111.030 EUR. Stille Reserven konnten nicht festgestellt werden. Auf der Passivseite stand außer dem Eigenkapital die vom Forderungsverzicht erfasste Verbindlichkeit über 335.118 EUR gegenüber T bzw. deren Muttergesellschaft. Weitere Gläubiger gab es nicht.
In ihrer Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr erklärte die Antragstellerin einen Jahresüberschuss von -197.465 EUR (-386.208 DM). Die durch den Forderungserlass eingetretene Vermögensmehrung wurde als Einlage behandelt und in der Bilanz zum 31.12.2001 i.H. von 335.118 EUR in die Kapitalrücklage eingestellt.
Nach Auffassung des Prüfers war die durch den Forderungserlass eingetretene Vermögensmehrung nicht als erfolgsneutrale Kapitalrücklage anzusetzen, sondern als erfolgswirksamer Ertrag. Mit Schreiben vom 20.08.2009 beantragte die steuerliche Bevollmächtigte unter Berufung auf das BMF-Schreiben vom 27.03.2003 (BStBl I 2003, 240), den Ertrag als begünstigen Sanierungsgewinn zu behandeln und die anfallende Steuer auf Null festzusetzen bzw. zu erlassen. Am 10.04.2012 erließ das Finanzamt einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 2001 (festgesetzte KSt: 21.300,93 EUR), in dem die durch den Forderungsverzicht eingetretene Vermögensmehrung einkommenserhöhend behandelt und ein steuerbegünstigter Sanierungsgewinn nicht angenom...