Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestandskraft des einer Steuernachforderung zugrunde liegenden Bescheids keine Voraussetzung für Aufrechnung des Finanzamts gegen ein Steuerguthaben
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Finanzamt darf eine Steuernachforderung auch dann gegen einen Steuererstattungsanspruch des Steuerpflichtigen aufrechnen, wenn das Rechtsbehelfsverfahren gegen den der Steuernachforderung zugrunde liegenden Steuerbescheid noch nicht abgeschlossen ist; Voraussetzung für eine Aufrechnung ist insoweit nicht die Bestandskraft des Steuerbescheids, sondern nur die Fälligkeit des Steuernachforderung.
2. Im Klageverfahren wegen der Zulässigkeit der Aufrechnung muss die Frage, ob die Steuernachforderung des Finanzamts materiell-rechtmäßig ist, nicht mehr geprüft werden, wenn der betreffende Steuerbescheid zwischenzeitlich durch Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde bestandskräftig geworden ist.
Normenkette
AO § 226 Abs. 1, § 218; BGB § 387
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um das Erlöschen eines Steuererstattungsanspruchs durch Aufrechnung in einem Abrechnungsbescheid.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Gesellschafter sie am 29. Dezember 1992 mit dem Ziel der Durchführung des Bauvorhabens eines Wohn- und Geschäftshauses in der E-strasse, …, und der anschließenden gemeinschaftlichen Nutzung und Bewirtschaftung gründeten. Die Klägerin schloss mit der B GmbH & Co. KG (künftig: B KG) einen „Vertrag des Eigenkapital-Treuhänders”. Mit notariellem Vertrag vom 29. Dezember 1992 (UR …/92 des Notars) erwarb die B KG das Objekt E-straße in
von der M GbR für DM 3.600.000. Unter Nummer 3.2 verzichtete die Verkäuferin auf die Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 9a UStG, die Erwerberin verpflichtete sich zusätzlich zum vorvereinbarten Kaufpreis von DM 3.600.000 zuzüglich 50% der Grunderwerbsteuer weitere DM 509.040 an die Verkäuferin als Umsatzsteuer zu zahlen. Die B KG zahlte den vereinbarten Kaufpreis.
Mit Umsatzsteuererklärung vom 29. Oktober 1993 für 1992 beantragte die Klägerin die Erstattung der Vorsteuer aus dem notariellen Kaufvertrag. Der Beklagte setzte hierauf die Umsatzsteuer mit Bescheid vom 1. Februar 1995 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf DM 0 fest, da die Klägerin nicht die angeforderten Unterlagen einreichte, wogegen die Klägerin Einspruch einlegte. Der berichtigten Umsatzsteuererklärung vom 12. April 1995, in der die Klägerin erneut die Vorsteuer aus dem Grundstückskaufvertrag geltend machte, stimmte der Beklagte am 3. Juli 1995 zu, so dass die Umsatzsteuer 1992 auf ./. DM 511.743,30 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt war. Damit war auch das Einspruchsverfahren erledigt.
Mit Schreiben vom 31. Januar 1995 erklärte die Verkäuferin gegenüber der B KG, dass sie auf die Option nach § 9 UStG verzichte. In dem Schreiben führte sie aus, dass sie die „Rechnung/Kaufvertrag” um die ausgewiesene Umsatzsteuer von 509.040 DM berichtigen und mit diesem Schreiben neue Rechnung über 3.600.000 DM netto erstellen würde. Eine Abschrift des Schreibens ging am 15. Februar 1995 beim Beklagten ein. Die Umsatzsteuerfestsetzung der Verkäuferin stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Das Finanzamt änderte die Umsatzsteuerfestsetzung auf deren Antrag dahingehend, dass er ihr nunmehr die Steuerfreiheit zugrunde legte.
Für das Jahr 1995 gab die Klägerin zunächst keine Steuererklärung ab, weswegen der Beklagte auf Grundlage einer Schätzung den Umsatzsteuerbescheid für 1995 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung am 4. Juni 1997 erließ. Er setzte unter Berücksichtigung der Option der Verkäuferin eine Umsatzsteuer von DM 509.040 fest. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 18. Juni 1997 Einspruch ein und reichte am 23. Juni 1997 die Umsatzsteuererklärung für 1995 ein, aus der sich eine Erstattung von DM 4.407,13 (DM 281.749 Umsätze zu 15% = DM 42.262,35 abzüglich Vorsteuer von DM 7.089,50 und Vorauszahlungen von DM 39.172,80) ergab. Mit Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 1998 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Im anschließenden Klageverfahren (4 K 88/99 des Sächsischen Finanzgerichts und V R 8/04 des Bundesfinanzhofes) wandte die Klägerin im Wesentlichen ein, dass die Option zur Umsatzsteuer nicht ohne ihre Mitwirkung und nicht ohne notarielle Beurkundung ausgeübt bzw. zurückgenommen werden könnte. Der Bundesfinanzhof setzte sich mit dieser Frage nicht auseinander, da er am 6. Oktober 2005 entschied, dass es sich im Fall der nachträglichen Rückgängigmachung der Umsatzsteueroption nicht um einen Fall des § 17 UStG handele, sondern den einer Berichtigung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Dies bedeutete aber, dass das Steuerjahr 1992 und nicht 1995 betroffen sei, weswegen die Klage begründet war.
In Konsequenz dieser Entscheidung änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid für 1995 am 10. Juli 2006 dahingeh...