Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Kindergeldanspruch für mit seiner Familie in Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber lebenden Asylbewerber. Kindergeldanspruch gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. d des Vorläufigen Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen (BGBl 1956 II S. 507) i.V.m. Art. 2 des Zusatzprotokolls (BGBl 1956 II S. 528) nur bei einem inländischen Wohnsitz i.S. von § 8 AO
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein türkischer Staatsangehöriger ohne qualifizierten Aufenthaltstitel gemäß § 62 Abs. 2 EStG, der mit seiner Familie seit Jahren in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber lebt, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhält und entweder eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG) oder eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG) besitzt, hat weder nach § 62 Abs. 2 EStG noch nach übergeordnetem Völkerrecht (im Einzelnen vgl. Urteil) einen Kindergeldanspruch.
2. Ein Kindergeldanspruch gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. d des Vorläufigen Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen (BGBl 1956 II, 507) i.V.m. Art. 2 des Zusatzprotokolls (BGBl 1956 II, 528) besteht nur bei einem inländischen Wohnsitz i. S. v. § 8 AO, der in einem Übergangsheim für Asylbewerber nicht begründet werden kann. Der bloße Aufenthalt im Bundesgebiet, auch wenn er sich zu einem gewöhnlichen Aufenthalt i. S. v. § 9 AO verfestigt haben sollte, ist insoweit nicht ausreichend (Anschluss an FG Münster, Urteil v. 1.12.2008, 5 K 4329/03 Kg).
Normenkette
EStG 2006 § 62 Abs. 2 Nrn. 1-3; AufenthG § 60a; AsylbLG § 1 Abs. 1 Nrn. 1, 4; AsylVfG § 53 Abs. 2; AO §§ 8-9
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der verheiratete Kläger ist türkischer Staatsbürger. Er lebt seit einigen Jahren mit seiner Familie in einer Gemeinschaftsunterkunft und erhält Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz. Das Asylverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Eine Erwerbstätigkeit des Klägers ist nicht gestattet.
Am 4. Mai 2006 beantragte der Kläger Kindergeld für seine am 5. Januar 1996, 19. August 1998, 27. Dezember 1999 und 13. Oktober 2003 geborenen Kinder. Der Beklagte im folgenden: Agentur für Arbeit) lehnte den Antrag am 22. Juni 2006 ab. Der Einspruch blieb erfolglos (vgl. Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2008).
Mit der Klage macht der Kläger geltend, dass ihm Kindergeld ab dem 1. Januar 2003 zustehe. Dies ergebe sich sowohl aus dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 3/80 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei sowie aus dem Vorläufigen Europäischen Abkommen über soziale Sicherheit. Das Vorläufige Europäische Abkommen sei auf ihn anwendbar, da er seit mehr als sechs Monaten in Deutschland wohne. Er sei seit mehreren Jahren unter der ladungsfähigen Anschrift Ziegelstraße 14 in Eilenburg erreichbar. Wohnen bedeute nur, nicht obdachlos zu sein. Nicht erforderlich sei, dass er tatsächlich eine eigene Wohnung innehabe.
Außerdem erfülle er die Voraussetzungen des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 3/80. Denn Arbeitnehmer im Sinne dieses Beschlusses sei jede Person, die die Versicherteneigenschaft nach den für die soziale Sicherheit geltenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates besitze. Aus verschiedenen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs ergebe sich, dass eine Person die Arbeitnehmereigenschaft besitze, sofern sie auch nur gegen ein einziges Risiko pflichtversichert oder freiwillig versichert sei. Der Kläger erfülle diese Voraussetzungen, da er „im System der Deutschen Krankenversicherung” versichert sei.
Schließlich ergebe sich aus dem Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik, dass türkische Staatsangehörige und deutsche Staatsangehörige steuerrechtlich gleich zu behandeln seien. Da es sich beim Kindergeld um eine Steuerleistung handle, stehe dem Kläger wie einem deutschen Staatsangehörigen Kindergeld zu.
Der Kläger beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 22. Juni 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2008 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, ihm Kindergeld ab dem 1. Januar 2003 für drei Kinder und ab dem 1. Oktober 2003 für vier Kinder bis Mai 2008 zu bewilligen.
Die Agentur für Arbeit beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Nach § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Gesetzes vom 13. Dezember 2006 (BGBl I S. 2915), der gemäß § 52 Abs. 61 a EStG in allen noch offenen Fällen anwendbar ist, haben Ausländer nur Anspruch auf Kindergeld, wenn sie im Besitz eines dort aufgeführten Aufenthaltstitels nach dem Aufenthaltsgesetz oder – bei vor dem Jahr 2005 verwirklichten Sachverhalten – einer Aufenthaltsgenehmigung nach dem Au...