Dr. Birger Brandt, Prof. Jürgen Brandt
Leitsatz
Der Kehrbezirk eines Bezirksschornsteinfegermeisters ist gewerbesteuerrechtlich nicht dessen Betriebsstätte i.S.d. § 12 Satz 1 AO. Diese Vorschrift ist maßgebend für den Begriff der Betriebsstätte im GewStG; die hiervon abweichende einkommensteuerrechtliche Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte in § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG durch die BFH-Rechtsprechung (Urteile vom 13. Juli 1989, IV R 55/88, BStBl II 1990, 23; vom 19. September 1990, X R 44/89, BStBl II 1991, 97, und X R 110/88, BStBl II 1991, 208; vom 18. September 1991, XI R 34/90, BStBl II 1992, 90) gilt nicht für den Anwendungsbereich des GewStG.
Normenkette
§ 28 GewStG , § 30 GewStG , § 33 GewStG , § 12 AO
Sachverhalt
Die Klägerinnen sind Gemeinden, über deren Gebiete sich der Kehrbezirk eines Schornsteinfegermeisters erstreckt und die deshalb eine Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags unter ihrer Beteiligung beantragten, nachdem das FA nur der ebenfalls zum Kehrbezirk gehörenden Wohnsitzgemeinde des Schornsteinfegers sowie einer weiteren Gemeinde Zerlegungsanteile zugewiesen hatte. Das Begehren hatte weder im außergerichtlichen noch im gerichtlichen Verfahren Erfolg.
Entscheidung
Die Zuweisung von Zerlegungsanteilen am Gewerbesteuermessbetrag kann nur eine Gemeinde beanspruchen, in deren Bezirk eine Betriebsstätte zur Ausübung des Gewerbes unterhalten wird (§ 28 Abs. 1 GewStG). Betriebsstätte ist dabei nach Maßgabe des § 12 Satz 1 AO jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Unternehmer eine nicht nur vorübergehende, über die bloße tatsächliche Nutzungsmöglichkeit hinausgehende – ggfs. behördlich zugewiesene – rechtliche Verfügungsmacht hat.
Diese Eigenschaft kommt den einzelnen vom Schornsteinfeger überwachten und gereinigten Kaminen, Heizungen und sonstigen Einrichtungen nicht zu, weil ihm insoweit weder eine dauerhafte Verfügungsmacht zu eigenen Unternehmenszwecken eingeräumt ist noch diese seinen Unternehmenszwecken dienen.
Insbesondere fehlt es insoweit an der Befugnis, die Nutzungsbefugnis der Eigentümer der überwachten Anlagen einzuschränken oder ihnen den Zutritt zu den Anlagen – vorbehaltlich der Gewährleistung seiner Überwachungsaufgaben – zu verwehren. Im Übrigen dienen die Anlagen nicht den Zwecken des Schornsteinfegerbetriebs, sondern den betrieblichen oder außerbetrieblichen Zwecken der Eigentümer. Aus denselben Gründen scheidet auch die Annahme einer mehrgemeindlichen Betriebsstätte (§ 30 GewStG) oder eine Zerlegung nach § 33 GewStG aus.
Ein Grund, den Betriebsstättenbegriff für den Anwendungsbereich des GewStG nicht nach Maßgabe des § 12 AO, sondern nach anderen Kriterien zu bestimmen, ist nicht ersichtlich. Eine solche Notwendigkeit hat der BFH zur gesetzlichen Regelung des Betriebsausgabenabzugs für Fahrten des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebsstätte nach § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG wegen des Zusammenhangs der Vorschrift mit § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG und der gebotenen Gleichbehandlung von Arbeitnehmern und Selbstständigen bejaht und daher diesen Begriff weiter als in § 12 Satz 1 AO 1977 im Sinn einer Beschäftigungsstätte ausgelegt (Urteile in BStBl II 1991, 97; in BStBl II 1991, 208).
Eine derartige, der besonderen Zweckbestimmung des § 4 Abs. 5 Nr. 6 und des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG entsprechende Notwendigkeit für die Annahme eines von § 12 Satz 1 AO 1977 abweichenden Betriebsstättenbegriffs in den §§ 28, 30 GewStG ist nicht ersichtlich.
Hinweis
Betriebsstätte ist nach § 12 Satz 1 AO jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmens dient. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, muss nach der BFH-Rechtsprechung nicht geprüft werden, wenn die streitige Betriebsstätte zu den in Satz 2 enumerativ aufgeführten gehört, weil der Gesetzgeber mit dieser Regelung den Kreis der Betriebsstätten konstitutiv erweitert hat (BFH, Urteil vom 28.7.1993, BStBl II 1994, 148). Dies wird im Zweifel bei einem Bezirksschornsteinfegermeister die Stätte der Geschäftsleitung sein (vgl. dazu auch FG Nürnberg, Urteil vom 26.9.1996, EFG 1997, 542).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.9.2000, X R 174/96