Leitsatz
Auch wenn die Anwendung der 1 %‐Regelung seit 2006 voraussetzt, dass das Kfz zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, die nach der 1 %‐Regelung ermittelte Nutzungsentnahme auf 50 % der Gesamtaufwendungen für das Kfz zu begrenzen.
Normenkette
§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2, Satz 4 EStG
Sachverhalt
Im Betriebsvermögen des gewerblich tätigen Klägers befand sich im Streitjahr 2009 ein gebraucht erworbener Pkw mit einem Listenpreis i.H.v. 64.000 EUR, den der Kläger auch privat nutzte. Ein Fahrtenbuch führte er nicht. Die Gesamtkosten des Pkw ermittelte er mit rd. 11.000 EUR und setzte ca. 50 % dieser Kosten für die Privatnutzung an. Das FA berechnete den Wert der Nutzungsentnahme hingegen nach der 1 %-Regelung mit 7.680 EUR und erhöhte dementsprechend den Gewinn. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (FG München, Außensenate Augsburg, Urteil vom 9.12.2014, 6 K 2338/11, Haufe-Index 9213286). Mit der Revision machte der Kläger geltend: Da feststehe, dass die Pkw-Kosten mindestens zu 50 % betrieblich veranlasst seien, könnten auch nur höchstens 50 % der Kosten privat veranlasst sein. Eine Nutzungsentnahme von mehr als 50 % verletze deshalb das Übermaßgebot und sei unlogisch.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Die steuerliche Behandlung der Privatnutzung eines betrieblichen Kfz ist und bleibt ein Streitthema zwischen den Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung. Dabei ist die einfachgesetzliche Rechtslage klar: Nach der Sonderregelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG ist für die private Nutzung eines zu mehr als 50 % betrieblich genutzten Kfz pro Kalendermonat 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zzgl. der Kosten für Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen.
Liegen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG nicht vor, namentlich, wenn das Kfz zu nicht mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, ist die Nutzungsentnahme nach den allgemeinen Regeln mit dem darauf entfallenden Aufwand zu bewerten, der ggf. zu schätzen ist.
Der auf die Privatfahrten entfallende Aufwand kann bei auch einem zu mehr als 50 % betrieblich genutzten Kfz angesetzt werden, wenn ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG) geführt wurde.
2. Die 1 %-Regelung kann dazu führen, dass für die Nutzungsentnahme des Kfz mehr als 50 % der gesamten Aufwendungen anzusetzen sind, obwohl das Kfz zu weniger als 50 % privat genutzt wurde. Dieses auf den ersten Blick erstaunliche Ergebnis erklärt sich daraus, dass es Ziel und Zweck der 1 %-Regelung ist, anders als sonst bei der Besteuerung der privaten Nutzungsentnahmen, nicht an den Aufwand des Steuerpflichtigen, sondern an den Vorteil, den er durch die Nutzung des betrieblichen Fahrzeugs erspart, anzuknüpfen.
3.§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG stellt für die in der Praxis stark divergierenden Sachverhalte zwar eine grob typisierend-pauschalierende Regelung dar, überschreitet aber nicht die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen. Zum einen betrifft die Regelung einen Bereich, in dem wegen der äußerst engen Verknüpfung zwischen privater und betrieblicher Sphäre einzelfallbezogene Ermittlungen der Finanzverwaltung nahezu ausgeschlossen sind. Zum anderen ist die 1 %-Regelung nicht als zwingende und unwiderlegbare Typisierung konzipiert. Jeder Steuerpflichtige kann der Anwendung der typisierenden Regelung durch den Nachweis des tatsächlichen Sachverhalts mittels eines ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs entgehen.
4. Die Höhe der Nutzungsentnahme ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht auf 50 % der Gesamtkosten zu begrenzen. Eine teleologische Reduzierung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG durch Deckelung der Nutzungsentnahme auf die Gesamtkosten ist nicht geboten. Das gilt unabhängig davon, dass die Finanzverwaltung im Wege der Billigkeit eine Deckelung auf 100 % der Gesamtkosten vornimmt (vgl. z.B. BMF, Schreiben vom 18.11.2009, BStBl I 2009, 1326, Rz. 18). Da der Steuerpflichtige die Möglichkeit hat, ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch zu führen und hiermit den tatsächlichen Sachverhalt nachzuweisen, wird eine Übermaßbesteuerung verhindert.
In Grenzfällen Fahrtenbuch führen
Führt die Anwendung der 1 %-Regelung zu einer Nutzungsentnahme, die 50 % der Gesamtaufwendungen übersteigt, was insbesondere bei gebraucht erworbenen hochpreisigen Pkw möglich ist, kann nur geraten werden, ein Fahrtenbuch zu führen. Der BFH sieht den damit verbundenen Aufwand nicht als unzumutbar an.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.5.2018 – X R 28/15