Leitsatz
1. Die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG ist auch für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen zu gewähren, die dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, wegen der zumutbaren Belastung aber nicht als solche berücksichtigt worden sind.
2. In der Haushaltsersparnis, die bei der Ermittlung der abziehbaren außergewöhnlichen Belastungen für eine krankheitsbedingte Unterbringung zu berücksichtigen ist, sind keine Aufwendungen enthalten, die eine Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG rechtfertigen.
Normenkette
§ 35a Abs. 2, Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1, § 33 Abs. 1, Abs. 3, § 33a Abs. 1 EStG
Sachverhalt
Der Klägerin sind im Streitjahr (2015) krankheitsbedingt Miet- und Servicekosten i.H.v. 22.620 EUR für die Unterbringung in einer Seniorenresidenz entstanden. Darin sind Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen i.H.v. 6.799 EUR enthalten. Das FA erkannte die Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastungen an. Es ermäßigte lediglich die Einkommensteuer der Klägerin wegen der haushaltsnahen Dienstleistungen nach § 35a Abs. 2 EStG um 1.360 EUR (= 6.799 EUR × 20 %).
Das FG ließ hingegen die Unterbringungskosten – vermindert um die gemäß § 33a Abs. 1 EStG geschätzte Haushaltsersparnis i.H.v. 8.472 EUR und die zumutbare Belastung i.H.v. 2.039 EUR – i.H.v. 12.109 EUR zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG zu. Zudem berechnete es aufgrund dessen die Steuermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG neu. Nach § 35a Abs. 5 EStG sei die tarifliche Einkommensteuer nunmehr nur noch um – im Revisionsverfahren allein streitig – 798 EUR und nicht – wie vom FA bislang – um 1.376 EUR zu ermäßigen (Niedersächsisches FG, Urteil vom 19.4.2018, 11 K 212/17, Haufe-Index 11748591).
Entscheidung
Auf die Revision des FA entschied der BFH, dass die tarifliche Einkommensteuer der Klägerin vorliegend nicht, wie vom FG berechnet, um 798 EUR, sondern lediglich um 408 EUR zu ermäßigen sei.
Hinweis
1. Die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG kann gemäß § 35a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG u.a. nur in Anspruch genommen werden, soweit die Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt worden sind. Hierdurch soll eine ansonsten mögliche Doppelbegünstigung vermieden werden.
a) Aufwendungen, die durch den Ansatz der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG nicht als außergewöhnliche Belastungen vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, sind nicht i.S.v. § 35a Abs. 5 EStG als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt worden. Für diese Aufwendungen ist eine Steuerermäßigung nach § 35a EStG mithin zulässig.
b) Werden im Rahmen des § 33 EStG Aufwendungen geltend gemacht, die dem Grunde nach sowohl bei § 33 EStG als auch bei § 35a EStG berücksichtigt werden können, geht die Finanzverwaltung typisierend davon aus, dass die zumutbare Belastung vorrangig auf die nach § 35a EStG begünstigten Aufwendungen entfällt (BMF, Scheiben vom 9.11.2016, BStBl I 2016, 1213, Rz. 32).
2. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist die tarifliche Einkommensteuer der Klägerin um 408 EUR zu ermäßigen, da Aufwendungen für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen durch den Ansatz der zumutbaren Belastung i.H.v. 2.039 EUR (x 20 % = 408 EUR) im Rahmen von § 33 EStG nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt worden sind. Der Ausschlusstatbestand in § 35a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG greift in diesem Betragsumfang daher nicht.
3. Eine darüberhinausgehende Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStGkommt nicht in Betracht.
a) Soweit die von der Seniorenresidenz bescheinigten haushaltsnahen Dienstleistungen (6.799 EUR) die zumutbare Belastung (2.039 EUR) übersteigen (4.760 EUR) und sie sich als außergewöhnliche Belastungen (12.109 EUR) ausgewirkt haben, scheidet eine (weitere) Berücksichtigung gemäß § 35a Abs. 2 EStG nach § 35a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG aus.
b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich ein Teil der vom FG anerkannten Unterbringungskosten (22.620 EUR) infolge der Kürzung um die Haushaltsersparnis (8.472 EUR) im Rahmen des § 33 EStG nicht steuermindernd ausgewirkt hat. Zwar handelt es sich insoweit nicht um außergewöhnliche Belastungen, sodass – anders als das FA offenbar meint – eine Berücksichtigung nicht am Verbot der Doppelberücksichtigung des § 35a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG scheitert. Eine Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG setzt allerdings voraus, dass in dem Betrag (hier in der Haushaltsersparnis) überhaupt Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen enthalten sind. Dies kann in Bezug auf die Haushaltsersparnis nicht typisierend unterstellt werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.12.2020 – VI R 46/18