Rz. 45
Mit dem BilMoG wurde in § 100 Abs. 5 AktG die sog. Finanzexpertise im Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss implementiert. So mussten kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften i. S. d. § 264d HGB mind. 1 Mitglied im Aufsichtsrat vorweisen, welches über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügt. Bei Einrichtung eines Prüfungsausschusses musste dieser Finanzexperte nach § 107 Abs. 4 AktG Mitglied des Prüfungsausschusses sein. Nach dem FISG müssen gem. § 100 Abs. 5 AktG mind. 1 Mitglied des Aufsichtsrats mit Sachverstand auf dem Gebiet Rechnungslegung und mind. 1 weiteres Mitglied mit Sachverstand auf dem Gebiet Abschlussprüfung, d. h. mind. 2 Finanzexperten, in den Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss von PIEs berufen werden.
Rz. 46
Durch das AReG erfolgte eine inhaltliche Erweiterung um die Branchenexpertise des Aufsichtsrats in § 100 Abs. 5 AktG. Demnach müssen die Mitglieder des Aufsichtsrats bzw. des Prüfungsausschusses in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein. Neben der Finanz- und Branchenexpertise sind bislang keine zusätzlichen inhaltlichen Fähigkeiten gesetzlich vorgesehen oder geplant. Auf die DCGK-Empfehlungen zur Nachhaltigkeitsexpertise im Aufsichtsrat für börsennotierte Aktiengesellschaften ist bereits hingewiesen worden (Rz 37).
Rz. 47
Infolge der durch das CSR-RUG eingeführten Prüfungspflicht des Aufsichtsrats bei der nichtfinanziellen Erklärung und der durch die EU-Regulierungen zu Sustainable Finance ansteigenden Vernetzungen zwischen Rechnungs- und Finanzwesen mit CSR-Aspekten ist die bisherige gesetzliche Reduzierung auf Finanz- und Branchenexpertise im Aufsichtsrat fragwürdig. Daher wird im betriebswirtschaftlichen Fachschrifttum eine angemessene Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsexpertise im Aufsichtsrat zur Stärkung seiner Überwachungs- und Prüfungspflicht explizit befürwortet. Insofern wäre zu diskutieren, analog zur gesetzlichen Implementierung von 2 Finanzexperten im Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss von PIEs eine Mindestanzahl oder -quote von CSR-Expertise in § 100 Abs. 5 AktG vorzuschreiben. Die Einführung eines Nachhaltigkeitsexperten im Aufsichtsrat hatte auch der SFB in seinem Abschlussbericht explizit befürwortet.
Der DCGK sieht in diesem Kontext eine Empfehlung vor, wonach das Kompetenzprofil des Aufsichtsrats auch Nachhaltigkeitsexpertise inkludieren soll. Zudem sollen die beiden nach dem FISG zwingenden Finanzexperten im Prüfungsausschuss gleichzeitig Nachhaltigkeitsexpertise entweder im Bereich Rechnungslegung oder Abschlussprüfung vorweisen. Eine der beiden Personen soll weiterhin als unabhängiger Finanz- und Nachhaltigkeitsexperte den Vorsitz des Prüfungsausschusses übernehmen. Vor dem Hintergrund der noch darzustellenden Überwachungs- und Prüfungspflichten ist die Zuweisung der Nachhaltigkeitsexpertise beim Prüfungsausschuss nach dem DCGK sinnvoll.
Rz. 48
Analog zu den Überlegungen zu einer verpflichtenden Einrichtung eines CSO oder eines Nachhaltigkeitsausschusses auf Ebene des Vorstands ist zu diskutieren, inwiefern bei PIEs auch ein Nachhaltigkeitsausschuss des Aufsichtsrats sachgerecht ist oder eine Existenz dieser Expertise im Prüfungsausschuss vorzugswürdiger erscheint. Mit Blick auf die Überwachungs- und Prüfungspflichten der §§ 111, 107 Abs. 3 und 171 AktG wäre die letztgenannte Option vorzugswürdig. Bei Implementierung eines CSR-Ausschusses im Aufsichtsrat muss nach § 171 Abs. 2 S. 2 Halbs. 2 AktG und nach § 289f Abs. 2 Nr. 3 HGB hierüber berichtet werden. Nachhaltigkeitsausschüsse im Aufsichtsrat sollten sich vorwiegend mit strategischen Fragestellungen befassen i. S. d. Beratungsfunktion gegenüber dem Vorstand.
Rz. 49
Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft verstärkte Fort- und Weiterbildungsangebote für den Aufsichtsrat mit Blick auf ESG-Themen bereitgestellt werden, um die Überwachungstätigkeit bei den internen Corporate-Governance-Systemen und die Prüfungsqualität bei der nichtfinanziellen Erklärung bzw. des künftigen Nachhaltigkeitsberichts zu steigern. Bei einer Neubesetzung empfiehlt sich, Mitglieder mit beruflichen und/oder akademischen Erfahrungen im Sozial- und Umweltbereich zu berufen. Da die universitären Ausbildungsprofile erst in jüngerer Zeit eine stärkere Integration von Nachhaltigkeitsaspekten vornehmen, z. B. in betriebswirtschaftlichen Studiengängen, müsste der akademische Ausbildungsweg durch einschlägige Praxiserfahrungen im Nachhaltigkeitsfeld belegt werden.