Leitsatz
Die Auflösung eines Dienstverhältnisses wird von demjenigen veranlasst, der sie betreibt. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass bei Zahlung einer Abfindung der Arbeitgeber die Auflösung veranlasst hat.
Normenkette
§ 3 Nr. 9 EStG
Sachverhalt
Der Kläger war als Kundendienstmonteur beschäftigt und für die Wartung von Gasthermen zuständig. Als er bei einem Kunden eine Überprüfung auf austretendes Gas vornehmen sollte, setzte er zur Suche eines winzigen Lecks ein Feuerzeug ein. Dies meldete die Kundin den Stadtwerken, die daraufhin dem Arbeitgeber des Klägers mit dem Entzug der Lizenz für die Wartung von Gasanlagen drohten.
Der Arbeitgeber kündigte den Kläger mit Schreiben vom 6.1.1995 fristlos. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht am 9.2.1995 kam es zum Vergleich. Danach sollte das Arbeitsverhältnis aufgrund fristgemäßer, betriebsbedingter Kündigung zum 28.2.1995 enden. Bis dahin sollte der Kläger unter Fortzahlung seines Arbeitslohns von der Verpflichtung zur Arbeit freigestellt werden und darüber hinaus eine Abfindung nach § 3 Nr. 9 EStG von 11.000 DM erhalten.
Das FA versagte die Steuerfreiheit der Abfindung mit der Begründung, dass der Kläger die entscheidende Ursache für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gesetzt habe. Das FG wies die Klage ab (EFG 2003, 1676).
Entscheidung
Der BFH hob das finanzgerichtliche Urteil auf und gab der Klage statt. Die Abfindung sei steuerfrei, da der Arbeitgeber die Auflösung des Dienstverhältnisses "betrieben" habe. Für die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG sei nicht die arbeitsrechtliche Beurteilung maßgebend, sondern allein der Umstand, von wem die Auflösung des Dienstverhältnisses ausgegangen ist. Ulrich Hutter
Hinweis
1. Nach dem Wortlaut des § 3 Nr. 9 EStG setzt die Steuerfreiheit einer Abfindung voraus, dass die Auflösung des Dienstverhältnisses vom Arbeitgeber veranlasst oder gerichtlich ausgesprochen worden ist. Die Vorschrift ist durch das EStRefG 1974 neu gefasst und erweitert worden. Seitdem ist die Steuerfreiheit nicht mehr davon abhängig, dass die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen der §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes oder des § 113 des Betriebsverfassungsgesetzes erfüllt sind. Der Gesetzgeber wollte damit die Steuerfreiheit dem Grunde nach auf sämtliche Abfindungen ausdehnen, die "wegen Entlassung eines Arbeitnehmers aus einem Dienstverhältnis" gewährt werden (vgl. BTDrs 7/1470, 242).
2. Der BFH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Auflösung eines Dienstverhältnisses dann vom Arbeitgeber veranlasst ist, wenn dieser die entscheidenden Ursachen für die Auflösung gesetzt hat. Das ist immer dann der Fall, wenn der Arbeitgeber die Auflösung "betrieben" hat (vgl. BFH, Urteil vom 6.3.2002, XI R 51/00, BFH-PR 2002, 323).
Im Besprechungsurteil stellt der BFH nun klar, dass das auch für die Fälle gilt, in denen der Arbeitnehmer durch eine Pflichtverletzung dem Arbeitgeber einen Grund für die Kündigung gegeben hat. Auch in diesen Fällen soll es für die Steuerfreiheit der Abfindung nicht auf die arbeitsrechtliche Beurteilung der Auflösung des Dienstverhältnisses ankommen, sondern allein darauf, wer die Auflösung gewollt und betrieben hat.
Beachten Sie: Bereits die Zahlung einer Abfindung ist ein Indiz dafür, dass der Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gewollt und damit auch veranlasst hat. Andernfalls wäre er kaum zur Zahlung einer Abfindung bereit gewesen.
3. Mit dieser Entscheidung gibt der BFH ausdrücklich die bisherige Rechtsprechung auf, nach der die Auflösung des Dienstverhältnisses dann durch den Arbeitnehmer veranlasst ist, wenn dieser sich vertragswidrig verhalten hat und deshalb vom Arbeitgeber gekündigt worden ist (so noch BFH, Urteil vom 17.5.1977, VI R 150/76, BStBl II 1977, 735). In den Genuss der Steuerfreiheit seiner Abfindung kommt damit auch derjenige, der wegen einer Pflichtverletzung zum unfreiwilligen Verlust seines Arbeitsplatzes beigetragen hat.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.11.2004, XI R 64/03