Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Die nachträgliche Verlängerung eines Versicherungsvertrags um drei Jahre führt trotz gleich bleibender Beitragsleistung steuerrechtlich zu einem neuen Vertrag, wenn die Möglichkeit der Vertragsänderung im ursprünglichen Versicherungsvertrag nicht vorgesehen war und sich aufgrund der Vertragsänderung die Laufzeit des Vertrags, die Prämienzahlungsdauer, die insgesamt zu entrichtenden Versicherungsbeiträge und die Versicherungssumme ändern.
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG , § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b Doppelbuchst. dd EStG
Sachverhalt
Der Arbeitgeber des Klägers hatte für diesen in den Jahren 1977 und 1980 zwei Lebensversicherungsverträge (Direktversicherungen) mit einer Laufzeit von 16 bzw. 13 Jahren zum voraussichtlichen Ende seiner Dienstzeit abgeschlossen. Entgegen dieser Planung trat der Kläger nicht 1993 in den Ruhestand, sondern blieb weitere drei Jahre berufstätig. Der Arbeitgeber vereinbarte daraufhin mit dem Versicherungsunternehmen eine Anpassung der Versicherungsverträge. Die bisherigen Versicherungsprämien sollten weiter gezahlt werden, die Versicherungssumme sollte sich entsprechend erhöhen. Neue Versicherungsscheine wurden nicht ausgestellt.
Das FA vertrat in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1996 die Ansicht, dass die in den – 1996 ausgezahlten – Versicherungsbeiträgen enthaltenen Zinsen für den Zeitraum 1993 bis 1996 steuerpflichtig seien. Die dagegen gerichtete Klage wies das FG ab (EFG 2005, 278).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das Urteil. Die Mindestvertragsdauer von 12 Jahren sei hinsichtlich der Leistungen ab Vertragsverlängerung nicht eingehalten. Die Abgrenzung von neuem und fortgeführtem Versicherungsvertrag bei Vertragsänderung sei nach dem wirtschaftlichen Gehalt des Altvertrags vorzunehmen. Eine Vertragsverlängerung mit Auswirkung auf die Versicherungsprämie und auf die Versicherungshöhe sei ein Neuvertrag. Das gelte jedenfalls dann, wenn – wie hier – Änderungsmöglichkeiten der Vertragsmodalitäten im Altvertrag nicht vorgesehen seien.
Hinweis
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG sind Zinsen aus Versicherungen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG dann nicht steuerpflichtig, wenn sie mit Beiträgen verrechnet oder im Versicherungsfall oder im Fall des Rückkaufs des Vertrags nach Ablauf von 12 Jahren seit dem Vertragsabschluss ausgezahlt werden; die Beiträge zu diesen Kapitallebensversicherungen mit Sparanteil können mit den in § 10 Abs. 2 EStG aufgeführten Einschränkungen als Sonderausgaben abgezogen werden. In der Rechtsprechung bisher noch nicht entschieden war, ob es bei der Verlängerung eines Versicherungsvertrags mit einer vertraglichen Laufzeit von mind. 12 Jahren um weitere Jahre bei der Steuerbegünstigung der Zinsen und der Versicherungsprämien bleibt oder ob mit der Verlängerung ein neuer, nicht begünstigter Vertrag beginnt.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass diese Frage nicht nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen zu beantworten ist, sondern nach den, den begünstigenden Vertrag prägenden Merkmalen, nämlich der Laufzeit, der Versicherungssumme, der Versicherungsprämie und der Prämienzahlungsdauer (vgl. u.a. BFH, Urteil vom 9.5.1974, VI R 137/72, BStBl II 1974, 633). Tritt hier eine wesentliche Änderung ein, so besteht zwar der alte Vertrag fort, mit Eintritt der Änderungen beginnt aber ein neuer Vertrag zu laufen, der den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG entsprechen muss, wenn er begünstigt sein soll (so auch das BMF, Schreiben vom 22.8.2002, BStBl I 2002, 827, Randnrn. 39 ff.).
Wird ein Vertrag verlängert und werden die bisherigen Versicherungsprämien weiter gezahlt, erhöht sich damit i.d.R. zwangläufig der Sparanteil und die spätere Versicherungsleistung. Mit dieser Aufstockung der Versicherungsleistung ändert sich aber auch der wirtschaftliche Gehalt des Altvertrags. Das wäre allenfalls dann anders, wenn die Vertragsparteien für den Verlängerungszeitraum eine Freistellung von der Prämienzahlung vereinbart hätten; denn hier hätte der Steuerpflichtige seine Sparleistung auf der Grundlage des Altvertrags bereits erbracht und die vom Gesetz vorausgesetzte Verknüpfung der Steuerbegünstigung der Prämienzahlung und der Steuerbegünstigung der Zinsen würde nicht entfallen. Für diesen Fall würde der BFH trotz der insgesamt höheren Verzinsung wohl eine unschädliche Weiterführung des Altvertrags annehmen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 6.7.2005, VIII R 71/04