FinMin Berlin, Erlass vom 10.8.2022, S 0342 – 1/2004-2-27
1. Grundlagen für die rückwirkende Beantragung von Schwerbehindertenausweisen
Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX können die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden (in Berlin das Versorgungsamt im Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin) auf Antrag des behinderten Menschen feststellen, dass ein Grad der Behinderung (GdB) oder gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Feststellungsinteresse besteht.
Ein besonderes Feststellungsinteresse kann nach dem Urteil des BSG vom 16. Februar 2012, B 9 SB 1/11 Ru. a. durch die beabsichtigte Inanspruchnahme von Steuervorteilen, z. B. des Behinderten-Pauschbetrags nach § 33b EStG, begründet werden. Dies kann der Betroffenen durch Vorlage einer Bescheinigung des zuständigen Finanzamts glaubhaft machen.
Es ist dabei vorstellbar, dass Betroffene eine rückwirkende Feststellung des Grades der Behinderung über Zeiträume von mehr als zehn Jahren begehren. Ein besonderes Feststellungsinteresse für einzelne Zeiträume scheidet dann ggf. wegen bereits eingetretener Festsetzungsverjährung der betroffenen Einkommensteuerfestsetzungen aus.
2. Erteilung einer Bescheinigung durch die Finanzämter
Ich bitte, in betroffenen Fällen auf Antrag des Steuerpflichtigen eine entsprechende Bescheinigung zur Vorlage bei der zuständigen Behörde auszustellen, aus der sich ergibt, für welche Zeiträume die Festsetzungsverjährung der Einkommensteuerfestsetzungen im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht eingetreten ist, auch soweit für diese eine Steuerfestsetzung von 0 EUR erfolgte.
Wegen des Steuergeheimnisses ist die Bescheinigung ausschließlich dem Antragsteller selbst oder einem Bevollmächtigten/Vertreter zu übersenden. Die Bescheinigungen kann nur dann der zuständigen Behörde unmittelbar zugesandt werden, wenn der Antragsteller dies beantragt oder dem ausdrücklich zugestimmt hat (§ 30 Abs. 4 Nr. 3 AO).
2.1 Berücksichtigung der Verjährung bei der Bescheinigung, § 171 Abs. 10 AO
Der Feststellungsbescheid nach § 152 Abs. 1 SGB IX ist ein Grundlagenbescheid einer ressortfremden Behörde, der nicht den Vorschriften der Feststellungsverjährung (§ 181 AO) unterliegt.
2.1.1 § 171 Abs. 10 Satz 2 AO
Die Ablaufhemmung kommt nur zum Tragen, wenn der Betroffene den Antrag auf rückwirkende Feststellung des GdB vor Ablauf der für den betreffenden Einkommensteuerbescheid geltenden Festsetzungsfrist stellt.
2.1.2 § 171 Abs. 10 Satz 3 AO
Soweit die Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2014 bereits abgelaufen war, kommt eine Änderung des Einkommensteuerbescheides nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nur in Betracht, soweit der Feststellungsbescheid nach § 152 SGB IX vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassen worden ist (Art. 97 § 10 Abs. 14 EGAO). Da dies nicht der Fall sein kann, wenn der Betroffene den Antrag auf Feststellung des Grades der Behinderung erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist stellt oder stellen wird, besteht insoweit kein steuerliches Interesse für die rückwirkende Feststellung des Grades der Behinderung.
2.2 Formulierungsvorschlag für eine Bescheinigung
„Bescheinigung zur Vorlage bei XXXXXX, dortiges Geschäftszeichen XXXXXX
Ein Steuervorteil für die rückwirkende Feststellung des GdB kann für die entsprechenden zurückliegenden Jahre nur berücksichtigt werden, wenn die Einkommensteuer noch festgesetzt werden kann und noch nicht festsetzungsverjährt ist.
Am TTMMJJJJ (Datum der Antragstellung auf Feststellung GdB) war/-en für den Veranlagungszeitraum 20xx / die Veranlagungszeiträume 20xx bis 20xx / die Veranlagungszeiträume ab 20xx die Festsetzungsverjährung der Herrn/Frau XXXXXX betreffende/n Einkommensteuerfestsetzung/-en noch nicht eingetreten.”
Normenkette
AO 1977 § 171 Abs. 10