[Ohne Titel]
StB Dipl.-Finw. Gerhard Bruschke
Die Vorschrift des § 171 Abs. 14 AO ermöglicht es der Finanzverwaltung, Steuerfestsetzungen solange vorzunehmen, wie ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch noch nicht verjährt ist. Im Ergebnis wird dadurch die Festsetzungsverjährung um ein Jahr verlängert. Durch die Regelung sollen im Wesentlichen Fehler des Fiskus ausgeglichen werden. Allerdings gibt es bei der Anwendung erhebliche Probleme, zumal die Finanzämter dazu neigen, die Vorschrift konsequent zum Nachteil der Steuerpflichtigen auszulegen bzw. anzuwenden.
I. Allgemeines
Über § 171 Abs. 14 AO soll ein spezielles Problem vermieden werden, das darin besteht, dass die Festsetzungsfrist für Steuerbescheide nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO nur vier Jahre, die Zahlungsverjährung nach § 228 AO allerdings fünf Jahre beträgt. In diesem Differenzjahr könnte somit ein Steuerpflichtiger die Unwirksamkeit eines bereits vor Jahren erlassenen Steuerbescheides geltend machen und auf Erstattung der aufgrund des unwirksamen Bescheides geleisteten Zahlungen bestehen (§ 37 Abs. 2 AO).
Die Vorschrift setzt einen sachlichen Zusammenhang zwischen der vorangegangenen Zahlung und dem Erstattungsanspruch voraus. Das ist immer dann der Fall, wenn sich der Steueranspruch und der Steuererstattungsanspruch auf den gleichen Besteuerungszeitpunkt und den gleichen Gegenstand beziehen. Eine personelle Identität zwischen dem ursprünglich Leistendem und dem die Erstattung begehrenden Steuerpflichtigen ist hingegen nicht erforderlich.
Allerdings gibt es zu dieser Auslegung der Vorschrift bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Vielmehr hat der BFH die Frage der personellen Identität in seiner Entscheidung v. 27.7.2021 (BFH v. 27.7.2021 – V R 3/20, BStBl. II 2022, 155) ausdrücklich offengelassen. Die Beurteilung durch die Finanzgerichte ist hier nicht einheitlich.
Die Absicht des Gesetzgebers zur Einführung der Vorschrift lässt sich nachvollziehen. Mit ihr soll verhindert werden, dass Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennen, dass der ihnen zugegangenen Steuerbescheid z.B. wegen eines Bekanntgabemangels unwirksam ist, sie die angeforderte Steuerschuld gleichwohl entrichtet haben und nach Ablauf der Festsetzungsfrist aber innerhalb der Frist für die Zahlungsverjährung die Rückerstattung der gezahlten Steuern verlangen. Falls dieses Verfahren gleichwohl angewandt wird, kann das FA die Steuerfestsetzung noch nachholen.
Gleichwohl gibt es deutliche Kritik an der Vorschrift, weil damit Fehler, die in der Sphäre der Finanzverwaltung liegen, zu Lasten der Steuerpflichtigen korrigiert werden können. Das BVerfG hat die Regelung des § 171 Abs. 14 AO jedoch als verfassungskonform bezeichnet, da sie auf vernünftigen Gründen basiere. Sie stelle sicher, dass innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist notwendige Steuerfestsetzungen nachgeholt werden können (BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 18.2.2003 – 2 BvR 1114/01, HFR 2003, 718). Der BFH hat diese Ansicht bereits im Urteil v. 13.3.2001 vertreten (BFH v. 13.3.2001 – VIII R 37/00, BStBl. II 2001, 430 = AO-StB 2001, 67).
Beraterhinweis Die Vorschrift ist unpräzise formuliert und beschränkt sich dem Wortlaut nach nicht nur auf das besondere Verhältnis von Festsetzungsfrist und Zahlungsverjährung. So hat der BFH in seiner Entscheidung vom 4.8.2020 (BFH v. 4.8.2020 – VIII R 39/18, BStBl. II 2022, 98 = AO-StB 2021, 15 (Steinhauff)) ausdrücklich festgestellt, dass die Anwendung des § 171 Abs. 14 AO nicht auf die Fälle unwirksamer Steuerfestsetzungen beschränkt ist, sondern grundsätzlich jeder mit dem Steueranspruch zusammenhängender Erstattungsanspruch geeignet ist, eine Ablaufhemmung auszulösen. Allerdings müsse der Erstattungsanspruch, soll er den Ablauf der Festsetzungsfrist hemmen, vor Ablauf dieser Frist entstanden sein. Eine im Vorgriff auf eine erwartete geänderte Steuerfestsetzung für die Streitjahre erbrachte Zahlung begründe einen die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 14 AO auslösenden Erstattungsanspruch, wenn es an einem formalen Rechtsgrund für die Zahlung fehlt.
Gleichwohl ist festzustellen, dass die Regelungen im § 171 AO nur den Ablauf einer offenen Festsetzungsfrist hemmen. Eine bereits eingetretene Festsetzungsverjährung kann somit nicht erneut anlaufen, da der Steueranspruch durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung erloschen ist (§ 47 AO). Das Erlöschen ist endgültig, so dass ein erloschener Anspruch nicht wieder aufleben kann. Die verjährungshemmenden Tatbestände des § 171 AO schieben den Eintritt der Verjährung nur über den regulären Zeitpunkt hinaus (BFH v. 14.9.2007 – VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25), eröffnen aber keine neue Festsetzungsfrist (BFH v. 25.11.2020 – II R 3/18, BFH/NV 2021, 820 = AO-StB 2021, 182 (Reddig)).
In der Praxis sind insb....