Dr. Björn-Axel Dißars, Dr. Ulf-Christian Dißars
Leitsatz
Eine abweichende Steuerfestsetzung kommt regelmäßig dann nicht in Betracht, wenn sich entgegen einer verbindlichen Auskunft die Rechtslage ändert.
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GmbH, der im Juni 1996 eine verbindliche Auskunft zur Frage des Erhalts von steuerlichen Verlustvorträgen bei Übertragung sämtlicher Anteile und Austausch des Betriebsvermögens erteilt wurde. Die Umstrukturierung wurde im November 1996 entsprechend durchgeführt, die Verluste entsprechend der verbindlichen Auskunft zunächst weiterhin anerkannt. Nach einer steuerlichen Außenprüfung bei der Klägerin wurden diese allerdings dann nicht mehr berücksichtigt, da nach Ansicht des Finanzamts die neue Fassung des § 8 Abs. 4 KStG anzuwenden sei. Die Klägerin habe demnach ihre wirtschaftliche Identität verloren, da nunmehr auch die Fortführung des Geschäftsbetriebs schädlich sei. Hiergegen wandte sich die Klägerin. Das entsprechende Hauptsacheverfahren ruht bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesänderung des § 8 Abs. 4 KStG. Die Klägerin beantragte gleichzeitig die abweichende Steuerfestsetzung im Hinblick die Unbilligkeit der rückwirkenden Gesetzesänderung bezüglich der Verlustübertragung.
Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg, da sie als unbegründet abgewiesen wurde. Nach § 163 Abs. 1 AO komme eine abweichende Steuerfestsetzung in Betracht, wenn die Erhebung der Steuer nach den Umständen des Einzelfalles unbillig sei. Hierbei seien sachliche oder persönliche Billigkeitserwägungen zu berücksichtigen. Diese seien hier aber nicht gegeben. Sachlich sei eine Erhebung dann unbillig, wenn sie den Wertungen des Gesetzes im Einzelfall zuwiderlaufe. Dies sei hier auch dann nicht der Fall, wenn die Regelung, was noch offen sei, verfassungswidrig sei. Letztlich sei die Situation der Klägerin aber nicht anders als aller anderen Steuerpflichtigen zu würdigen, die aufgrund der gesetzlichen Neuregelung steuerliche Verlustvorträge nicht mehr geltend machen könnten. Ein besonderes Vertrauen der Klägerin sei auch aufgrund der erteilten verbindlichen Auskunft nicht ersichtlich. Die Bindungswirkung dieser Auskunft sei ab dem Zeitpunkt nicht mehr gegeben, zu dem sich die gesetzliche Grundlage, auf die sie sich beziehe, ändere.
Hinweis
Die Entscheidung ist für die Klägerin als höchst ärgerlich anzusehen. Eigentlich hatte diese nämlich alles richtig gemacht und sich vor der Durchführung einer Umstrukturierung eine verbindliche Auskunft darüber eingeholt, dass diese nicht zu einem Entfallen der steuerlichen Verlustvorträge führen würde. Dann allerdings änderte der Gesetzgeber den § 8 Abs. 4 KStG, wobei Zweifel an dem verfassungsgemäßen Zustandekommen der Bestimmung sich aufdrängen (s. hierzu Frotscher, KStG, § 8 KStG Rz. 182bff.). Damit sollte die Klägerin ihren Verlust nicht mehr geltend machen können. Allerdings ist der Zeitpunkt der Anwendung der neuen Fassung des § 8 Abs. 4 KStG sehr fraglich (s. Frotscher, KStG, § 8 KStG Rz. 182c). In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Urteil zumindest insofern unstrittig, als eine verbindliche Auskunft nur so lange eine Wirkung entfaltet, wie sich die Rechtslage nicht ändert (vgl. Schmitz, in Schwarz, AO, § 89 AO Rz. 71). Insofern war der Antrag auf eine abweichende Steuerfestsetzung der letzte Rettungsanker. Meines Erachtens hat das Gericht hierbei an dieser Stelle sehr eng geurteilt, denn klassische Anwendungsfälle des § 163 AO sind die Gewährung von Übergangsfristen bei Änderung der Rechtslage (vgl. Frotscher, in Schwarz, AO, § 163 AO Rz. 107ff.) oder zur Vermeidung einer Verfassungswidrigkeit (vgl. Frotscher, in Schwarz, AO, § 163 AO Rz. 124ff.). Gerade angesichts der unklaren Rechtslage hätte man hier auch meines Erachtens zu einer zumindest partiellen Billigkeit kommen können. Der Klägerin bleibt nur zu hoffen, dass der BFH die Sache anders als das FG Hamburg sieht.
Gegen die Entscheidung wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Das Aktenzeichen des BFH ist I B 106/13.
Link zur Entscheidung
FG Hamburg, Urteil vom 17.05.2013, 6 K 199/12