Leitsatz
Eine Abzweigung des Kindergelds an den Sozialleistungsträger, der für ein behindertes Kind Sozialleistungen erbringt, setzt voraus, dass der Kindergeldberechtigte zivilrechtlich zum Unterhalt verpflichtet ist, aber keinen Unterhalt leisten will, keinen Unterhalt leisten kann oder als Unterhalt nur einen geringeren Betrag als das Kindergeld zu leisten braucht.
Sachverhalt
Der Sohn der Beigeladenen ist behindert (GdB 60) und besucht Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Der Sozialhilfeträger (Kläger) zahlte für den Sohn eine monatliche Grundsicherung i.H.v. 362,71 EUR. Die vom Sozialhilfeträger als Leistung der Eingliederungshilfe ebenfalls zu tragenden Kosten für die Unterbringung in der Werkstatt betrugen ca. 1.100 EUR pro Monat. Den Antrag des Sozialhilfeträgers auf Abzweigung des Kindergeldes lehnte die Familienkasse ab, da durch die Haushaltsaufnahme hinreichender Unterhalt gewährt werde. Im Klageverfahren beantragt der Sozialhilfeträger das Kindergeld an ihn abzuzweigen, da der laufende Lebensunterhalt des Sohnes durch seine Leistungen sichergestellt sei. Die Aufnahme des Kindes in den elterlichen Haushalt stünde der Abzweigung nicht entgegen. Ebenso irrelevant sei die von den Eltern für ihr Kind aufgewandte Zeit.
Entscheidung
Nach Auffassung des FG hat die Familienkasse die Abzweigung des Kindergeldes zu Recht abgelehnt. Das FG hat entschieden, dass die Eltern volljähriger behinderter Kinder, die mit den Eltern in einem gemeinsamen Haushalt leben nicht verpflichtet sind, zur Vermeidung einer Abzweigung ihre Unterhaltsaufwendungen nachzuweisen, oder glaubhaft zu machen, ob und ggf. in welcher Höhe sie aus welchen Einkünften Aufwendungen für den Unterhalt der Kinder tätigen. Ist in diesen Fällen das Kind außerstande, sich selbst zu unterhalten, so ist bei nur teilstationärer Unterbringung in einer WfbM grundsätzlich davon auszugehen, dass die Eltern finanziell mindestens in Höhe des Kindergeldes mit Unterhaltsleistungen belastet sind.
Hinweis
In einem gleichgelagerten Fall hat das Thüringer FG die Klage ebenfalls abgewiesen , aber die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen. Denn nach Kenntnis des FG sind bereits Hunderte von Abzweigungsanträgen der Sozialleistungsträger anhängig, so dass die obergerichtliche Beantwortung der aufgeworfenen Fragen weitreichende Bedeutung über den entschiedenen Einzelfall hinaus hat. Betroffene Kindergeldberechtigte sollten sich bei ähnlichen Sachverhalten gegen die Abzweigung des Kindergelds wehren und auf das Revisionsverfahren III R 8/12 verweisen.
Link zur Entscheidung
Thüringer FG, Urteil vom 23.11.2011, 3 K 309/10