Leitsatz
Die Voraussetzungen für die Abzweigung von Kindergeld an den Sozialleistungsträger sind erfüllt, wenn der Kindergeldberechtigte seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt, weil er die zum Lebensbedarf des Kindes gehörenden laufenden Kosten für die Unterbringung in vollstationärer Pflege nicht übernimmt. Ob und in welcher Höhe das Kindergeld in diesem Fall abgezweigt wird, obliegt dem pflichtgemäßen Ermessen der Familienkasse.
Sachverhalt
Streitig ist, ob die Familienkasse die Abzweigung des Kindergeldes zu Recht abgelehnt hat. Die Klägerin (der Sozialhilfeträger) hatte die Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 Abs. 1 EStG beantragt. Diesen Antrag hat die Familienkasse abgelehnt, da Unterhaltsleistungen in Form von Geld-, Sach- und Betreuungsleistungen mindestens in Höhe des Kindergeldes erbracht wurden. Im Klageverfahren trägt die Klägerin vor, dass nach § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG das Kindergeld an sie abzuzweigen sei, weil das Kind in stationärer Einrichtung betreut werde und die Kosten hierfür zu mehr als der Hälfte von einem Sozialleistungsträger übernommen würden.
Entscheidung
Nach Auffassung des FG ist die Entscheidung, das Kindergeld voll an die Kindesmutter auszuzahlen, nicht ermessensfehlerhaft. Nach § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG kann das für ein Kind nach § 66 Abs. 1 EStG festgesetzte Kindergeld u. a. auch an die Stelle ausgezahlt werden, die dem Kind Unterhalt gewährt, wenn der Kindergeldberechtigte seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt. "Der Unterhaltspflicht nicht nachkommen" bedeutet, dass der Kindergeldberechtigte objektiv und dauerhaft für den wesentlichen Unterhalt des Kindes nicht aufkommt. Liegen - wie im Streitfall - die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 EStG vor, so liegt es im pflichtgemäßen Ermessen der Familienkasse, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe das Kindergeld abgezweigt wird. Da die Kindesmutter den sozialgesetzlich geschuldeten Kostenbeitrag von 46 EUR und außerdem erheblichen Betreuungsunterhalt geleistet hat, obwohl sie diesen dem volljährigen Kind nicht mehr schuldet (Betreuung an jedem Wochenende und den Feiertagen im Haushalt der Mutter, Urlaub mit Kind), ist es allein ermessensgerecht, das volle Kindergeld beim Kindergeldberechtigten zu belassen. Das Ermessen der Familienkasse ist in diesem Fall auf Null reduziert.
Hinweis
Da gegen das vorstehende Urteil Revision eingelegt wurde (Az. des BFH: III R 26/08) sollte in Fällen, in denen bei gleichem Sachverhalt eine Abzweigung des Kindergeldes vorgenommen wurde, unter Hinweis auf das vorstehende Verfahren beim BFH gegen diese Abzweigung Einspruch eingelegt und auf das Ruhen des Verfahrens nach § 363 (2) AO hingewiesen werden.
Link zur Entscheidung
Thüringer FG, Urteil vom 13.02.2008, 3 K 177/07