Leitsatz
1. Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung setzt nicht voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist (Änderung der Rechtsprechung).
2. Es reicht jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.
3. Sind die materiellen und formellen Voraussetzungen für die Entstehung und Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt, ist es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, einen Steuerpflichtigen, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde, durch die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug zu sanktionieren.
Normenkette
§ 14 Abs. 4, § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a, § 14a, § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG, § 118 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Die Klägerin erwarb Schrott im Inland von der M-GmbH, die Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis erteilte. An dem im Handelsregister angegebenen Sitz der M-GmbH befanden sich die Räumlichkeiten einer Anwaltskanzlei. Die von der M‐GmbH für die Korrespondenz genutzte Festnetz‐ und Faxnummer gehörten der Kanzlei. Die Kanzlei diente als Domiziladresse für etwa 15 bis 20 andere Firmen. Die Kanzlei ermöglichte der M‐GmbH die Nutzung eines Schreibtisches mit Personalcomputer sowie eines Telefonanschlusses und stellte einen Briefkasten für die Post zur Verfügung. Ein Schreibtisch wurde einmal im Monat von einem Mitarbeiter der GmbH genutzt.
Das FA versagte den Vorsteuerabzug. Die dagegen eingereichte Klage hatte Erfolg (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.4.2016, 1 K 1158/14, Haufe-Index 9598480, EFG 2016, 1562).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz.
Hinweis
1. Entsprechend seinem Urteil (BFH, Urteil vom 21.6.2018, V R 25/15, BFH/NV 2018, 1053) hält der BFH nicht an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, sondern geht nunmehr davon aus, dass eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht voraussetzt, dass der leistende Unternehmer als seine Anschrift in der Rechnung einen Ort angibt, an dem er seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Vielmehr reicht als Rechnungsangabe jede Art von Anschrift aus, einschließlich einer Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.
2. Der BFH verneint auch eine Versagung des Vorsteuerabzugs wegen einer Steuerhinterziehung des Lieferanten, wenn der Leistungsempfänger hiervon weder wusste noch wissen konnte.
Auf welcher Grundlage der Vorsteuerabzug für den Fall versagt werden kann, dass der Leistungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass der leistende Unternehmer eine Steuerhinterziehung begeht, ist damit noch nicht abschließend geklärt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 21.6.2018 – V R 28/16