Leitsatz
1. Verzichtet das FA gegenüber dem Steuerpflichtigen ausdrücklich auf die Abgabe einer förmlichen Feststellungserklärung und fordert ihn stattdessen zu bestimmten Angaben auf, verletzt es seine Ermittlungspflicht, wenn die geforderten Angaben für die Ermittlung des für die Grundbesitzbewertung maßgebenden Sachverhalts nicht ausreichen und es keine weiteren Fragen stellt.
2. Erfüllt der Steuerpflichtige in einem solchen Fall seinerseits seine Mitwirkungspflichten, indem er die vom FA gestellten Fragen zutreffend und vollständig beantwortet, ist das FA nach Treu und Glauben an einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gehindert, wenn es später Kenntnis von steuererhöhenden Tatsachen erlangt.
Normenkette
§ 181 Abs. 5 Satz 1, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 164 Abs. 2 AO
Sachverhalt
Der Kläger erbte 2003 unter anderem ein Betriebsgrundstück; das FA hatte dementsprechend eine gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwertes für Zwecke der Erbschaftsteuer durchzuführen.
Das FA verzichtete "aus Vereinfachungsgründen" auf die Abgabe einer Feststellungserklärung und forderte den Kläger u.a. auf, den Steuerbilanzwert mitzuteilen. Diesen Aufforderungen folgte der Kläger. Daraufhin ermittelte das FA als Sonderfall nach § 147 BewG den Wert des Grundstücks letztlich im Jahr 2005 mit ca. 530.000 EUR.
Nach Durchführung einer Außenprüfung wegen Erbschaft- und Schenkungsteuer stellte sich heraus, dass das Grundstück verpachtet war. Danach ergab sich im Regelertragswertverfahren ein Grundbesitzwert i.H.v. ca. 1,6 Mio. EUR. Das FA erließ 2009 einen entsprechenden Änderungsbescheid.
Die nach erfolglosem Vorverfahren hiergegen gerichtete Klage wies die Vorinstanz (FG Köln, Urteil vom 26.8.2015, 4 K 4035/10, Haufe-Index 8732146, EFG 2016, 13) mit der Begründung ab, die Änderung der gesonderten und einheitlichen Feststellung habe auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt werden können.
Entscheidung
Der BFH hat auf die begründete Revision des Klägers die Vorentscheidung sowie die streitigen Bescheide aufgehoben.
Zwar ist auch der BFH der Meinung, dass eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie regulär geltenden Feststellungsfrist erfolgen konnte. Im Hinblick auf die noch nicht verjährte Erbschaftsteuerfestsetzung dürfte die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes erfolgen, § 181 Abs. 5 Satz 1 AO. Der Hinweis gemäß § 181 Abs. 5 Satz 2 AO war im Verlauf des Verfahrens erfolgt.
Gleichwohl durfte das FA nach Meinung des BFH den bestandskräftigen Feststellungsbescheid nicht ändern. Insbesondere kam eine Änderung wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht in Betracht. Der Senat führt aus, dass eine Änderung eines Steuerbescheides zum Nachteil des Steuerpflichtigen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen ist, wenn dem FA die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Verzichtet das FA gegenüber dem Steuerpflichtigen ausdrücklich auf die Abgabe einer förmlichen Erklärung und fordert ihn stattdessen auf, bestimmte Angaben zu machen, verletzt das FA seine Mitwirkungspflicht. Dies schließt im Ergebnis die Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zulasten des Steuerpflichtigen aus.
Hinweis
Der Besprechungsfall weist zwei für die Praxis bedeutsame Problemkreise auf:
1. Zum einen geht es um den Ablauf der Feststellungsfrist für die Bewertung von Grundbesitz im Zusammenhang mit einem Festsetzungsverfahren für die Erbschaftsteuer. Um einen "Gleichklang" zwischen Feststellungs- und Festsetzungsverfahren zu gewährleisten, bestimmt § 181 Abs. 5 Satz 1 AO, dass eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen kann, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Wichtig und in der Praxis bisweilen übersehen wird allerdings der Umstand, dass gemäß Satz 2 der Vorschrift auf das Verhältnis der Fristen im Feststellungsbescheid hinzuweisen ist.
2. Zum anderen stellt sich die Frage, ob dem FA die Änderungsbefugnis wegen neuer Tatsachen zukommt, wenn dieses von sich aus auf Mitwirkungshandlungen des Steuerpflichtigen verzichtet hat. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zulasten des Steuerpflichtigen scheidet jedenfalls dann aus, wenn ihm ausdrücklich nur eine bestimmte Mitwirkung abverlangt wurde, welcher er ohne Beanstandung nachgekommen ist. Führt das FA im Nachhinein Ermittlungen durch, zu denen bereits bei Verfahrensbeginn Anlass bestanden hätte, darf dies dem Steuerpflichtigen nicht zum Nachteil gereichen (Treu und Glauben).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 29.11.2017 – II R 52/15