Leitsatz
Die Änderung eines bestandskräftigen Investitionszulagenbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen des Eintritts des nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 rückwirkenden Ereignisses der "Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen" für die nachträglichen Herstellungsarbeiten ist ab dem Zeitpunkt möglich, in dem das Finanzamt einen Bescheid bekannt gegeben hat, der die erhöhten Absetzungen erstmals steuerlich berücksichtigt.
Normenkette
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 175 Abs. 1 Satz 2 AO, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999, § 7i EStG
Sachverhalt
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Baudenkmals in Thüringen mit vier Wohnungen, von denen drei dauerhaft zu Wohnzwecken vermietet werden. In den Jahren 1999 und 2000 sanierte sie das Objekt. Für die zu Wohnzwecken dienenden Gebäudeteile gewährte das FA am 6.7.2001 eine Investitionszulage.
In den Körperschaftsteuererklärungen 1999 und 2000 erklärte die Klägerin die gesamten Aufwendungen als nachträgliche Herstellungskosten und beantragte für den Teil der Aufwendungen, für den Investitionszulage beantragt wurde, die Abschreibung nach § 7 Abs. 4 EStG, für die verbleibenden Aufwendungen jedoch Abschreibungen nach § 7i EStG. Die Körperschaftsteuerbescheide für 1999 und 2000 vom 18.3.2003 ergingen erklärungsgemäß.
Am 23.10.2006 hob das FA die Investitionszulagebescheide 1999 und 2000 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen Verstoßes gegen das Kumulationsverbot auf und setzte Zinsen nach § 7 InvZulG 1999 fest.
Das FG Köln gab der Klage in vollem Umfang statt; es nahm an, das FA habe lediglich seine Rechtsauffassung geändert (FG Köln, Urteil vom 24.8.2010, 12 K 1839/07, Haufe-Index 2565622, EFG 2011, 210).
Entscheidung
Die Revision führte zur Aufhebung des FG-Urteils hinsichtlich der Investitionszulage und der Zinsen zur Investitionszulage 2000. Das FG hat im zweiten Rechtsgang zu klären, ob und ggf. inwieweit nachträgliche Herstellungsarbeiten vorliegen, die ein Kumulationsverbot auslösen.
Hinweis
1. Die Änderung eines Bescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO setzt ein Ereignis mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit voraus. Ein rückwirkendes Ereignis liegt vor, wenn der nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhalt sich später anders gestaltet und sodann der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist.
2. Ob eine nachträgliche Änderung des Sachverhalts steuerlich zurückwirkt, bestimmt sich nach materiellem Recht. Der hier maßgebliche § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1999 lässt den Anspruch auf Investitionszulage für nachträgliche Herstellungsarbeiten an vor dem 1.1.1991 fertiggestellten Gebäuden rückwirkend entfallen, wenn der Anspruchsberechtigte für die Herstellungsarbeiten erhöhte AfA in Anspruch nahm (sog. Kumulationsverbot).
3. Die erhöhten Absetzungen werden nicht schon durch den Eingang des Antrags oder der entsprechenden Steuererklärung in Anspruch genommen, sondern erst durch die Entscheidung des FA, d.h. die Bekanntgabe des Bescheids, in dem die erhöhten Absetzungen erstmals steuerliche Berücksichtigung finden. Anderenfalls könnte das FA die Festsetzung der Investitionszulage bereits bei Eingang der Steuererklärung aufheben, obwohl es die erhöhten Absetzungen später nicht gewährt.
Die Festsetzungsfrist für den Erlass eines Änderungsbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beginnt dementsprechend mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist, d.h. der Bescheid bekannt gegeben wurde, in dem die erhöhte AfA abgezogen wurde.
4. Das Kumulationsverbot bezieht sich nur auf "dieselben nachträglichen Herstellungsarbeiten", sodass z.B. die Inanspruchnahme erhöhter AfA für Aufwendungen zur Sanierung der Gebäudefassade die Investitionszulage für Aufwendungen zur Neueindeckung des Dachs nicht ausschließt.
Greifen mehrere Herstellungsarbeiten ineinander, so kann dies ihre Abgrenzbarkeit ausschließen. Bei einem fehlenden bautechnischen Zusammenhang sind dagegen auch zeitgleich durchgeführte Maßnahmen in verschiedene Herstellungs- und Erhaltungsmaßnahmen aufzuteilen (vgl. BFH vom 22.12.2011, III R 37/09, BFH/PR 2012, 255).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 26.7.2012 – III R 72/10