Ein Körperschaftsteuerbescheid ist offenbar unrichtig, wenn die Steuerpflichtige die Zeile 44a der Körperschaftsteuererklärung nicht ausgefüllt hat, obwohl sich aus den dem FA vorliegenden Steuerbescheinigungen und der Anlage WA zur Körperschaftsteuererklärung ergibt, dass die Steuerpflichtige eine Gewinnausschüttung einer GmbH erhalten und das FA in der Anrechnungsverfügung zum Körperschaftsteuerbescheid die Kapitalertragsteuer auf die Körperschaftsteuer angerechnet hat (BFH v. 22.5.2019 – XI R 9/18, BStBl. II 2020, 37 = AO-StB 2019, 274).
Eine Berichtigung nach § 129 S. 1 AO ist ausgeschlossen, wenn das FA feststehenden Akteninhalt (6 Seiten Anlagen zur Anlage G) bewusst nicht zur Kenntnis nimmt und wenn sicher anzunehmen ist, dass bei gebotener Kenntnisnahme ein mechanischer Übertragungsfehler bemerkt und/oder vermieden worden wäre. Dann ist nicht allein der mechanische Übertragungsfehler für die Unrichtigkeit des Bescheids ursächlich geworden, sondern zugleich ein die Willensbildung betreffender Fehler (BFH v. 10.3.2020 – IX R 29/18, BStBl. II 2020, 698 = AO-StB 2020, 311 [Marfels]).
Kein Sachaufklärungsfehler, sondern eine offenbare Unrichtigkeit mit der Folge einer Berichtigungspflicht nach § 129 S. 2 AO liegt vor, wenn das FA einen Teil der Prüfungsfeststellungen schon während der Außenprüfung in einem Änderungsbescheid berücksichtigt, dann aber die Ergebnisse des abschließenden Prüfungsberichts entgegen der Aktenlage durch eine Korrektur des Änderungsbescheides noch einmal in vollem Umfang – und damit doppelt – umsetzt (BFH v. 24.1.2019 – V R 32/17, BFH/NV 2019, 673).
Das schlichte Vergessen eines Übertrags selbst ermittelter Besteuerungsgrundlagen in die Steuererklärung ist kein Schreib- oder Rechenfehler, sondern eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit (BFH v. 26.5.2020 – IX R 30/19, BFH/NV 2020, 1233 = AO-StB 2020, 345 [Steinhauff]).
§ 129 AO ist auf das in § 90 Abs. 1 bis 3 EStG beschriebene Verfahren der maschinellen Gewährung und Rückforderung von Altersvorsorgezulagen nicht anwendbar, weil es in diesen Verfahrensabschnitten noch am Erlass eines Verwaltungsakts fehlt (BFH v. 5.11.2020 – X B 50/20, BFH/NV 2021, 290).
Eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO liegt nicht vor, wenn Einkünfte eines Chefarztes aus der Erbringung von Wahlleistungen gegenüber stationär untergebrachten Patienten erklärungsgemäß als solche aus selbständiger Arbeit berücksichtigt werden, da die Frage, ob derartige Einkünfte als solche aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit anzusehen sind, von den Umständen des Einzelfalls abhängt und daher einer umfassenden rechtlichen Würdigung bedarf (FG Münster v. 15.2.2019 – 14 K 2122/16 E, EFG 2020, 629, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 9/20).
Eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO ist im Zusammenhang mit der Feststellung des steuerlichen Einlagekontos gem. § 27 Abs. 2 KStG nur dann gegeben, wenn aus den vorliegenden Unterlagen, sei es der Steuererklärung, den beigefügten Anlagen, dem Prüfungsbericht oder den Handakten des Prüfers, die Bildung oder Erhöhung der Kapitalrücklage und ein entsprechender Mittelzufluss bei der Kapitalgesellschaft klar und eindeutig ersichtlich ist (FG BW v. 19.12.2017 – 6 K 1902/15, EFG 2020, 1460).
Teilt eine GmbH in zwei aufeinanderfolgenden VZ dem FA zwar mit, dass jeweils eine Einzahlung in die Kapitalrücklage gem. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB geleistet worden ist, gibt es aber keine Erklärungen über die gesonderte Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos ab und schätzt das FA die Höhe des jeweiligen Bestands des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 Abs. 2 KStG auf 0 EUR, so beruht die Nichtberücksichtigung der Zahlungen in die Kapitalrücklage im Rahmen des Bestands des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 Abs. 2 KStG nicht auf einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 AO (FG München v. 15.3.2021 – 7 K 2114/18, EFG 2021, 1281).