Leitsatz
Werden nachträglich sowohl steuererhöhende Tatsachen (Umsätze) als auch steuermindernde Tatsachen (Vorsteuerbeträge) bekannt und führen die steuererhöhenden Tatsachen zur Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, so können die steuermindernden Tatsachen sowohl gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO als auch gem. § 177 AO zu berücksichtigen sein (Fortentwicklung des Senatsurteils vom 19.10.1995, V R 60/92, BStBl II 1996, 149).
Normenkette
§ 173 Abs. 1 AO , § 177 AO , § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG , § 15 UStG
Sachverhalt
Das FA schätzte im Umsatzsteuerbescheid 1998 die Besteuerungsgrundlagen unter Anlehnung an die Umsatzsteuer-Voranmeldungen. Nach Bestandskraft des Bescheids reichte die Klägerin die Umsatzsteuererklärung mit höheren Umsätzen, aber auch höheren Vorsteuerbeträgen beim FA ein.
FA und FG berücksichtigten die nachträglich bekannt gewordenen Vorsteuerbeträge nur proportional zu den nachträglich bekannt gewordenen Umsätzen. FA und FG aber nach unterschiedlichem Ansatz, das FG mit einem für den Kläger günstigeren Ergebnis.
Entscheidung
Der BFH hielt – wie das FA – die Methode des FG für unzutreffend; im Ergebnis bestätigte der BFH das FG-Urteil, denn sowohl FA als auch FG hatten § 177 AO übersehen.
Hinweis
Ein Steuerbescheid ist nach § 173 Abs. 1 AO zu ändern,
- soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen (Nr. 1),
- soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden (Nr. 2 Satz 1). Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln i.S.d. Nummer 1 stehen (Nr. 2 Satz 2).
Hat das FA die Umsatzsteuer in Anlehnung an USt-Voranmeldungen geschätzt und reicht der Steuerpflichtige später – nach Bestandskraft des Bescheids – die Umsatzsteuererklärung mit höheren Umsätzen, aber auch höheren Vorsteuerbeträgen ein, können Letztere grundsätzlich nicht berücksichtigt werden, weil deren verspätetes Bekanntwerden nicht unverschuldet ist. Das FA muss aber höhere Vorsteuerbeträge berücksichtigen, soweit die den nachträglich bekannt gewordenen Vorsteuerbeträgen zugrunde liegenden Tatsachen in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen stehen, die zu einer höheren Steuer führen (§ 173 Nr. 2 Satz 2 AO).
Das ist nur der Fall, soweit diese Leistungsbezüge zur Ausführung der nachträglich bekannt gewordenen Umsätze verwendet wurden. Zunächst ist festzustellen, inwieweit die nachträglich bekannt gewordenen Leistungsbezüge (unmittelbar) bestimmten nachträglich bekannt gewordenen Umsätzen zuzurechnen sind. Erst wenn dies nicht feststellbar ist, ist der Zusammenhang nach dem Verhältnis der geschätzten Umsätze zu den nachträglich erklärten Umsätzen zu ermitteln.
Nicht vergessen werden darf § 177 AO: Im Umfang einer zulässigen Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen sind zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen alle Fehler einschließlich offenbarer Unrichtigkeiten i.S.d. § 129 AO zu berücksichtigen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.4.2003, V R 26/02