Dipl.-Finanzwirt (FH) Jürgen Feißt
Leitsatz
Ein rückwirkendes Ereignis liegt nicht vor, wenn bei einer Bürgschaft zu Gunsten der "eigenen" GmbH die Inanspruchnahme schon während des streitigen Veranlagungszeitraums gedroht hat. Dieses gilt selbst dann, wenn die tatsächliche Höhe der Inanspruchnahme erst nach dem Ablauf des streitigen Veranlagungszeitraums feststand.
Sachverhalt
Der Kläger (Kl.) war an einer GmbH beteiligt, die in 1992 Konkurs ging. Bei der Einkommensteuerveranlagung 1992 machte er als Verlust nach § 17 EStG lediglich seine Anschaffungskosten für die Beteiligung sowie den Verlust eines Gesellschafterdarlehens geltend. Im Jahr 1998 wurde er von Seiten eines Kreditinstitutes für eine gewährte Bürgschaft gegenüber der GmbH in Anspruch genommen. Ende des Jahres 2000 verständigte er sich mit dem Kreditinstitut auf einen Vergleich, nach dem er weitere Zahlungen in Höhe von 150.000 DM zu leisten hatte. Er beantragte darauf hin die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1992, da er in der tatsächlichen Inanspruchnahme ein rückwirkendes Ereignis sah. Das Finanzamt lehnte die Änderung ab.
Entscheidung
Leistungen eines GmbH-Gesellschafters aus einer für Verbindlichkeiten der Kapitalgesellschaft eingegangenen Bürgschaftsverpflichtung sind im Zusammenhang mit § 17 EStG nachträgliche Anschaffungskosten einer Beteiligung, wenn die Übernahme der Bürgschaft durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und die Rückgriffsforderung gegen die Gesellschaft wertlos ist. Nachträglich Anschaffungskosten sind schon dann gegeben, wenn mit der Inanspruchnahme des Gesellschafters aus der Bürgschaft ernstlich zu rechnen ist. Die Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft droht dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Geltendmachung der Forderung gegenüber dem Bürgen ernstlich zu erwarten ist oder dass sich der Gläubiger wegen Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners an den Bürgen wenden wird. Aufgrund der Zahlungsunfähigkeit der GmbH Ende Oktober 1992 musste der Kläger dem Grunde nach mit einer Inanspruchnahme aus der Bürgschaft ernstlich rechnen. Nach Verwertung der übrigen Sicherheiten sind auf dem Girokonto der GmbH erhebliche Verbindlichkeiten verblieben.
Daher spricht auch nichts dafür, dass die Kl. annehmen konnten, die Verwertung der übrigen Sicherheiten würde zur Schuldtilgung ausreichen. Dass das Kreditinstitut tatsächlich erst 1998 gegenüber den Kl. auf die Angelegenheit zurückgekommen ist, hat für die Beurteilung, ob 1992 eine Inanspruchnahme drohte, keine Bedeutung, zumal die schleppende Bearbeitung durch das Kreditinstitut seinerzeit nicht vorhersehbar war. Da die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft schon 1992 drohte, liegt insoweit kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor. Denn diese Regelung setzt voraus, dass das Ereignis nach dem Veranlagungszeitraum eintritt, in dem es nach den gesetzlichen Bestimmungen seine steuerliche Wirkung entfaltet. Zwar stand die tatsächliche Höhe der Inanspruchnahme der Kl. aufgrund der Vereinbarung mit dem Kreditinstitut aus dem Jahr 2000 erst nach dem Ablauf des Jahres 1992 fest. Sie kann jedoch im Streitjahr 1992 nicht mehr zur Änderung des Veräußerungsverlustes führen. Eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO setzt voraus, dass sich der ursprüngliche, der Besteuerung zugrunde gelegte Sachverhalt tatsächlicher oder rechtlicher Art mit Wirkung für die Vergangenheit geändert hat. Auf diesem Hintergrund setzt die auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützte Änderung des Steuerbescheides voraus, dass der den Veräußerungsgewinn beeinflussende Sachverhalt dem Grunde und der Höhe nach erst nachträglich eine andere Gestaltung erfährt. Sonst würde es dem Grunde nach zur Berücksichtigung der (drohenden) Bürgschaftsinanspruchnahme kommen, obwohl dieser Sachverhalt dem Grunde nach bereits im Veranlagungszeitraum verwirklicht war, das Finanzamt lediglich nachträglich davon erfahren hat. Diese Konstellation fällt als "neue Tatsache" aber in den Anwendungsbereich des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
Hinweis
Das Urteil zeigt nochmals den Unterschied zwischen neuer Tatsachen, die nachträglich bekannt werden und rückwirkender Ereignisse auf. Das Finanzgericht zieht hier eindeutige und enge Grenzen. Es ist daher, auch wenn betragsmäßige Unsicherheiten vorhanden sind, alles in der Steuererklärung des Jahres anzuführen, in dem das steuermindernde Ereignis stattfindet.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil vom 12.05.2004, 1 K 6725/02 E