Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzgericht ist zuständig für Entscheidungenüber die auf Grund des § 88 InsO (Rückschlagsperre) gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung erhobenen Einwendungen. Entscheidung des Insolvenzgerichts als besonderes Vollstreckungsgericht bei auf Grund des § 88 InsO gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung erhobenen Einwendungen

 

Leitsatz (amtlich)

Über Einwendungen, die auf Grund des § 88 InsO (Rückschlagsperre) gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung erhoben werden, entscheidet analog § 89 Abs. 3 InsO das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht.

 

Normenkette

InsO §§ 88, 89 Abs. 3; ZPO § 766

 

Verfahrensgang

AG Duisburg (Beschluss vom 16.11.2010; Aktenzeichen 16 M 3923/10)

 

Tenor

Die Zwangsvollstreckung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 16.11.2010 – 16 M 3923/10 wird für unzulässig erklärt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Tatbestand

I. Auf Antrag des Jobcenters D (im folgenden: Insolvenzgläubigerin) erließ das Amtsgericht Duisburg-Ruhrort den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 16. 11. 2010. Mit ihm wurden Lohnansprüche des Insolvenzschuldners gegen seine Arbeitgeberin, die Drittschuldnerin, gepfändet und der Insolvenzgläubigerin überwiesen. Diese hat sodann wegen der Ansprüche in Höhe von 328,10 EUR nebst Zinsen und Kosten einen Mahnbescheid des Arbeitsgerichts Wesel vom 6. 9. 2011 – 7 Ba 64/11 gegen die Drittschuldnerin erwirkt.

Am 17. 12. 2010 ging beim Amtsgericht Duisburg der Antrag des Insolvenzschuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen ein. Mit Eröffnungsbeschluss vom 18. 7. 2011 ist das vereinfachte Insolvenzverfahren (§ 312 InsO) antragsgemäß eröffnet und Rechtsanwalt Dr. R zum Treuhänder (§ 313 InsO) bestellt worden. Die Insolvenzgläubigerin hat eine Forderung in Höhe von insgesamt 343,74 EUR zur Tabelle angemeldet (Rang 0 Nr. 4).

Der Treuhänder hat mit Schreiben vom 21. 9. 2011 gegen die Zwangsvollstreckung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 16. 11. 2010 Vollstreckungserinnerung eingelegt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Erinnerung ist zulässig (§ 89 Abs. 3 InsO, § 766 ZPO) und begründet. Die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung ergibt sich allerdings entgegen der Ansicht des Treuhänders nicht aus § 89 Abs. 1 InsO, sondern aus § 88 InsO:

Die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts als besonderes Vollstreckungsgericht (§ 89 Abs. 3 InsO) ist für die Entscheidung über alle insolvenzspezifischen Einwendungen gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung gegeben, sofern ohne die Regelung des § 89 Abs. 3 InsO das allgemeine Vollstreckungsgericht sachlich zuständig wäre (vgl. Begr. RegE InsO, 1992, BT-Dr. 12/2443, S. 138; HK-InsO/Kayser, 5. Aufl. 2008, § 89 RdNr. 34, 35; § 88 Rn. 46; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 89 Rn. 43; MünchKomm-InsO/Breuer, 2. Aufl. 2007, § 89 RdNr. 38; BGH NZI 2004, 278; BGH NZI 2011, 365). Sie greift deshalb auch im Fall der Rückschlagsperre nach § 88 InsO ein, wenn das ursprünglich zuständige Vollstreckungsorgan entgegen seiner Amtspflicht eine vollstreckungsrechtliche Anordnung trotz Eingreifens der Rückschlagsperre weder von Amts wegen noch auf Erinnerung des Insolvenzverwalters oder Treuhänders aufhebt.

Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Gläubigerin, die den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt hat, ist Insolvenzgläubigerin (§ 38 InsO). Da der Eröffnungsantrag des Insolvenzschuldners am 17. 12. 2010 beim Insolvenzgericht eingegangen ist, reicht die Dreimonatsfrist für die Rückschlagsperre (§ 312 Abs. 1 Satz 3, § 88 InsO) bis zum 17. 9. 2010 zurück. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 16. 11. 2010 ist innerhalb dieser Frist erlassen und damit durch die Verfahrenseröffnung rückwirkend rechtswidrig geworden. Seine Vollziehung ist unzulässig.

Die Sach- und Rechtslage ist eindeutig. Es wird daher davon abgesehen, den Vorgang zunächst dem Amtsgericht Duisburg-Ruhrort zur Entscheidung über die Abhilfe zuzuleiten.

 

Fundstellen

NZI 2011, 944

VuR 2012, 69

ZVI 2012, 29

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge