Leitsatz (amtlich)
1. Nimmt der Schuldner den Antrag auf Restschuldbefreiung in einem Erstinsolvenzverfahren zurück, so kann ihm in einem zweiten Insolvenzverfahren Stundung gem. § 4a InsO bewilligt werden.
2. Anders als im Fall eines Zweitantrages bei noch laufendem Erstinsolvenzverfahren greift in diesen Fällen die Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht ein (Abgrenzung zu AG Göttingen, Beschluss vom 06.03.2008 – 74 IN 34/08).
3. Eine befriedigende Lösung, um ein Dauerinsolvenzverfahren auszuschließen, kann nur der Gesetzgeber herbeiführen.
Tenor
wird heute um 08.00 Uhr das Insolvenzverfahren gemäß §§ 2, 3, 11, 16 ff InsO wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet.
Dem Antragsteller wird Stundung für das Eröffnungsverfahren und das eröffnete Verfahren bewilligt.
Aus der Insolvenzmasse sind vorweg zu begleichen die Gerichtskosten einschließlich der Vergütung des Insolvenzverwalters.
Tatbestand
A. Aufgrund Eigenantrages des Schuldners ist über sein Vermögen am 29.06.2001 unter Bewilligung von Stundung das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Mit Beschluss vom 05.06.2002 ist dem Schuldner die Restschuldbefreiung angekündigt und die Laufzeit der Abtretungserklärung auf sieben Jahre festgesetzt worden. Das Verfahren wurde am 04.07.2002 aufgehoben; eine Schlussverteilung hat mangels Masse nicht stattgefunden (Verfahren 74 IK 97/01 – AG Göttingen). Aus dem Bericht des Treuhänders vom 04.09.2001 ergibt sich, dass die Verbindlichkeiten aus einer von 1998 bis 2000 ausgeübten einzelkaufmännischen Tätigkeit stammten und der Schuldner zwischenzeitlich ein Vertragsverhältnis als freier Handelsvertreter begründet hatte, aus dem Einnahmen derzeit nicht erzielt wurden. Im Bericht vom 15.12.2001 teilte der Treuhänder mit, dass der Schuldner Arbeitslosengeld bezog. Das Schlussverzeichnis weist Forderungen in Höhe von 118 634,46 DM aus. Die nachfolgenden Berichte des Treuhänders ergeben, dass der Schuldner eine Änderung der Einkommenssituation nicht anzeigte und pfändbare Bestandteile zur Masse nicht realisiert werden konnten.
Am 11.03.2008 hat der im Vorverfahren anwaltlich vertretene Schuldner Antrag auf Stundung, Restschuldbefreiung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Das Gläubiger- und Forderungsverzeichnis weist Verbindlichkeiten in Höhe von 8 558,96 EUR auf. Der Großteil der Forderungen (7 543,30 EUR) bezieht sich auf eine Forderung des Finanzamtes.
Mit Beschluss vom 03.04.2008 hat das Insolvenzgericht den bereits im Erstverfahren bestellten Treuhänder mit der Erstattung eines Eröffnungsgutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 22.04.2008 kommt der Sachverständige zu dem Schluss, dass der Schuldner zahlungsunfähig und eine die Verfahrenskosten deckende Insolvenzmasse nicht vorhanden ist. Nach seinen Feststellungen machte sich der Schuldner Anfang 2007 als Handelsvertreter (Strukturvertrieb für Kosmetikprodukte) selbständig; im Oktober 2007 stellte er die Tätigkeit ein. Derzeit bezieht er unpfändbare Sozialleistungen nach SGB II in Höhe von 760,80 EUR. Seit April 2008 vertreibt er freiberuflich Solaranlagen und betätigt sich als Bankberater; ob sich daraus pfändbare Einkommensbestandteil ergeben, ist offen.
Neben den im Schlussverzeichnis des Verfahrens 74 IK 97/01 festgestellten Forderungen von umgerechnet ca. 60 656 EUR existieren folgende fünf Neuverbindlichkeiten in Höhe von 10 972,54 EUR:
- Forderung der getrennt lebenden Ehefrau in Höhe von ursprünglich 748 EUR, die in monatlichen Raten von 25 EUR getilgt wird und sich aktuell auf noch 348 EUR beläuft.
- Forderung aus einer Warenbestellung im Jahr 2001 über 263,58 EUR.
- Forderung der Beschäftigungsförderungsstelle der Stadt G., die an den Schuldner einen Existenzgründungszuschuss über 1 000 EUR zur Anschaffung eines Laptops sowie diverser Büromaterialien auszahlte. Wegen zweckwidriger Verwendung von 920,05 EUR für eine Brille und diverse Pflegeprodukte zum Weiterverkauf existiert eine Restverbindlichkeit von 530 EUR.
- Forderung des O-Versandes für Warenbestellungen über 2 287,66 EUR.
- Forderung des Finanzamtes über 7 543,30 EUR. Eine Betriebsprüfung im November 2007 für den Zeitraum Februar 2007 bis September 2007 ergab gegenüber den vom Schuldner abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen eine weitere Zahllast von 1 433,37 EUR. Insgesamt macht die Finanzverwaltung 7 373,80 EUR zuzüglich Säumniszuschlägen geltend. Mit Bescheid vom 10.01.2008 gewährte die Finanzverwaltung Vollstreckungsaussetzung gegen monatliche Ratenzahlung von 2 000 EUR im April 2008 und 1 500 EUR ab Mai 2008.
Den in dem Verfahren 74 IK 97/01 – AG Göttingen – gestellten Antrag auf Restschuldbefreiung hat der Schuldner zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
B. Das Insolvenzgericht hat unter Bewilligung von Stundung das Verfahren eröffnet. Die Eröffnungsvoraussetzungen liegen vor. Der Schuldner ist zahlungsunfähig. Zwar sind die Verfahrenskosten nicht gedeckt, eine Abweisung mangels Masse hat gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 InsO zu unterbleiben, da dem Schuldner die Verfahrenskosten gemäß § 4a InsO zu stunden sind. ...