Leitsatz (amtlich)

1. Zur Sicherstellung der Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren ist es jedenfalls bei einer unüberschaubaren Vielzahl von Gläubigern, deren Leistungen zur Betriebsfortführung benötigt werden (hier: ca. 570), regelmäßig geboten, einen „starken” vorläufigen Insolvenzverwalter zu bestellen, § 22 Abs. 1 InsO. Nur so ist zuverlässig gewährleistet, dass gegenüber sämtlichen Gläubiger, die zur Betriebsfortführung benötigte Leistungen zur Verfügung stellen, Masseverbindlichkeiten begründet werden, § 55 Abs. 2 InsO. Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit stehen der Bestellung jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Schuldnerin ihr Einverständnis mit der Bestellung eines „starken” vorläufigen Insolvenzverwalters erklärt hat.

2. Die Figur der insolvenzgerichtlichen Einzelermächtigung (BGH ZInsO 2002, 819 = ZIP 2002, 1625), die in erster Linie bei der Eingehung eines Massekredites sinnvoll sein kann, kommt in einem Fall wie dem vorliegenden nicht in Betracht, weil sie der vom Insolvenzgericht vorrangig zu berücksichtigenden Gleichbehandlung aller Gläubiger, die zur Betriebsfortführung benötigte Leistungen zur Verfügung stellen, widerspricht.

3. Die Einrichtung eines Treuhandkontos durch den vorläufigen Insolvenzverwalter ist nicht geeignet, die Rechtsfolge des § 55 Abs. 2 InsO auszulösen. Gleiches gilt für das von einem vorläufigen Insolvenzverwalter gegebene Wort, er werde eine Leistung, die zur Betriebsfortführung benötigt werde, voll befriedigen. Ein vorläufiger Insolvenzverwalter, der dennoch diesen Weg beschreitet, handelt außerhalb seiner rechtlichen Kompetenzen.

4. Die sofortige Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist bei einer Betriebsfortführung grundsätzlich nicht sinnvoll. Insbesondere ist es regelmäßig sachgerecht, den dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraum auszuschöpfen (vgl. AG Hamburg ZIP 2001, 1885).

 

Tatbestand

I.

Die Schuldnerin ist mit 36 Kinos und knapp 1.000 Mitarbeitern der drittgrößte (Marktanteil ca. 7 %) deutsche Kinobetreiber. Auf ihren Insolvenzantrag vom 2.10.02 bestellte das Insolvenzgericht mit Beschluss vom selben Tag Rechtsanwalt Sch. zum „schwachen” vorläufigen Insolvenzverwalter.

Die Schuldnerin nimmt laufend Leistungen von mehr als 570 Unternehmen Lieferungen und Leistungen in Anspruch, und zwar insbesondere von etwa:

  • 15 Filmverleihern
  • 19 Raumvermietern
  • 127 Handwerksunternehmen und sonstige Technikern
  • 85 Warenlieferanten
  • 80 Werbeagenturen, Druckereien und Zeitungsverlagen
  • 67 Reinigungsunternehmen und Abfallentsorgern
  • 59 Unternehmen für Telekommunikation, Bürotechnik und -bedarf
  • 48 Versorgungsunternehmen
  • 43 Sicherheitsdiensten
  • 17 Filmtransporteuren
  • 14 Leasinggebern und Vermietern von Inventar
  • 12 Reisebüros, Hotels, Taxibetrieben und Floristen
  • 7 Verbänden und Versicherern
  • 4 Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfer und sonstigen Beratern
  • 4 kaufmännischen Dienstleistern
  • 4 Kfz-Leasinggebern und -werkstätten

Während des Eröffnungsverfahrens wurde von einigen der 15 Filmverleiher unter dem Eindruck der neuesten BGH-Rechtsprechung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den „schwachen” vorläufigen Insolvenzverwalter (BGH ZInsO 2002, 819) das Verlangen an den vorläufigen Insolvenzverwalter heran getragen, eine hinreichende rechtliche Absicherung der Filmmieten sicherzustellen. Diese Filmmieten mit einem Volumen von ca. 2 Mio EUR monatlich seien – so einzelne Filmverleiher – aufgrund der wöchentlich erfolgenden Abrechnung mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche für einen Zeitraum von zwei Wochen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht wirksam abgesichert.

Mit Schriftsatz vom 12.12.02 wies der vorläufige Insolvenzverwalter darauf hin, dass die weitere Filmbelieferung der Schuldnerin die zentrale Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes und damit zugleich für sich abzeichnende Sanierungslösungen sei. Er beantragte,

den vorläufigen Insolvenzverwalter zu ermächtigen, Verpflichtungen aus Filmmieten zulasten der späteren Insolvenzmasse gegenüber den Filmvermietern der Schuldnerin einzugehen;

hilfsweise der Schuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen.

Dem Schriftsatz des vorläufigen Insolvenzverwalters war ein Schreiben der Schuldnerin vom 11.12.02 beigefügt, in dem diese mitteilte, dass sie gegen die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes keine Einwände habe.

 

Entscheidungsgründe

II.

Das Insolvenzgericht hat den bisherigen „schwachen” vorläufigen Insolvenzverwalter mit Wirkung vom 16.12.02 zum „starken” vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt (1.) Diese Maßnahme ist aus Sicht des erkennenden Gerichts am besten geeignet, die zur Betriebsfortführung benötigte Leistung der Filmverleiher – weitere Vermietung von Filmen an die Schuldnerin – sicherzustellen. Die Erteilung einer Einzelermächtigung im Sinne der Entscheidung BGH ZInsO 2002, 819 kommt demgegenüber hier nicht in Betracht, weil sie dem übergeordneten Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung nicht hinreichend Rechnung trägt (2.). Andere Maßnahmen, insbesondere die E...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge