Leitsatz (amtlich)
1. § 135 Abs. 1 InsO in der Fassung des am 1.11.08 in Kraft getretenen „MoMiG” ist auf sog. Scheinauslandsgesellschaften (hier: ausschließlich in Deutschland tätige Limited mit Sitz in England) anwendbar. Dadurch, dass der Gesetzgeber das bisherige Eigenkapitalersatzrecht durch rein insolvenzrechtliche Anfechtungsvorschriften ersetzt und auf das Tatbestandsmerkmal „Krise der Gesellschaft” (§ 32a Abs. 1 GmbHG aF) verzichtet hat, ist der Meinungsstreit um die Anwendbarkeit des bisherigen Eigenkapitalersatzrechtes auf Scheinauslandsgesellschaften für Rechtshandlungen, die nach dem 1.11.08 erfolgen, obsolet geworden.
2. Für Rechtshandlungen, die vor dem 1.11.08 erfolgt sind, kommt es darauf an, ob die Rechtshandlung nach dem bisherigen Recht der Anfechtung entzogen war, Art 103d EGInsO. Dies ist wegen § 135 Abs. 1 InsO aF nicht der Fall, wenn die Gesellschaft zum Zeitpunkt der maßgeblichen Rechtshandlung (hier: Rückzahlung eines Darlehns an den einzigen Gesellschafter) bereits insolvenzreif war und sich damit in der „Krise” iSd bisherigen Eigenkapitalersatzrechtes befunden hat, § 32a Abs. 1 GmbHG aF.
Tatbestand
I. Mit Antrag vom 25.8.08 beantragte die Schuldnerin, eine ausschließlich in Deutschland und zuletzt in Hamburg tätige Limited mit Sitz in England, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Durch Beschluss vom 27.8.08 wurde Rechtsanwalt S. zum „schwachen” vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt; gleichzeitig wurde er als Sachverständiger beauftragt. In seinem Gutachten vom 25.11.08, aus dem sich ergibt, dass die Schuldnerin bereits seit Oktober 2007 zahlungsunfähig und überschuldet ist, gelangt er zu der Empfehlung, das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Diese Empfehlung stützt er einzig und allein auf Ansprüche gemäß § 135 Abs. 1 InsO nF: Der einzige Gesellschafter der Schuldnerin habe am 25.10.07, 26.10.07 sowie 5.2.08 Rückzahlungen iHv insgesamt EUR 30 000,– auf von ihm gewährte Darlehn erhalten. Hierbei handele es sich um anfechtbare Rechtshandlungen iSd § 135 Abs. 1 InsO nF. Anhaltspunkte dafür, dass der Anspruch nicht werthaltig sei, seien nicht ersichtlich.
Entscheidungsgründe
II. Das gemäß Art 3 Abs. 1 EuInsVo international zuständige Insolvenzgericht Hamburg hat das Verfahren am 26.11.08 eröffnet und Rechtsanwalt S. zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Eröffnungsvoraussetzungen liegen vor, da die Schuldnerin insolvenzreif ist und die Kosten des Verfahrens voraussichtlich gedeckt sind, §§ 26, 27 InsO.
Die Kostendeckungsprognose beruht darauf, dass Ansprüche der Schuldnerin aus § 135 Abs. 1 InsO nF iHv EUR 30 000,– – notfalls unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe – mit überwiegender Wahrscheinlichkeit generiert werden können. § 135 Abs. 1 InsO nF ist auf alle Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach dem Inkrafttreten des MoMiG (1.11.08) eröffnet werden, Art 103d EGInsO. Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch liegen prognostisch ohne weiteres vor: Die Schuldnerin hat für die Forderung ihres Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehns im letzten Jahr vor dem Antrag Befriedigung gewährt und dadurch die Insolvenzgläubiger benachteiligt, § 129 InsO. Darauf, dass sich die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Darlehnsrückzahlung in einer „Krise” iSd § 32a Abs. 1 GmbHG aF befunden hat, kommt es nach Inkrafttreten des § 135 Abs. 1 InsO nF nicht mehr an.
Die Vorschrift des § 135 Abs. 1 InsO nF ist auch auf sog. Scheinauslandsgesellschaften anwendbar. Vor dem Inkrafttreten des MoMiG war streitig, ob das deutsche Eigenkapitalersatzrecht (§§ 32a, b GmbHG aF, 135 InsO aF, 30, 31 GmbHG aF analog) auf sog. Scheinauslandsgesellschaften anwendbar ist. Dies wurde teilweise abgelehnt (HambKomm-Schröder § 135 Rn. 7; Goette ZIP 2006, 541; Riedemann GmbHR 2004, 345), teilweise bejaht (Haas NZI 2002, 457; Paulus ZIP 2002, 729; Fischer ZIP 2004, 1477; Ulmer NJW 2004, 1201; Altmeppen NJW 2004, 97; Karsten Schmidt ZHR 168, 493: Lehre von der Finanz- und Haftungsverfassung der Verbände). Das Insolvenzgericht hält die zuletzt genannte Auffassung für vorzugswürdig. Insbesondere erscheint es richtig, von einer rechtsformübergreifenden Anwendbarkeit des Eigenkapitalersatzrechts bei allen Verbänden und damit auch bei Scheinauslandsgesellschaften auszugehen (so Karsten Schmidt aaO).
Der dargestellte Meinungsstreit ist nach Inkrafttreten des MoMiG insoweit obsolet geworden, als es um eine Rechtshandlung geht, die nach dem 1.11.08 vorgenommen worden ist, Art 103d EGInsO. Dadurch, dass der Gesetzgeber unter Abschaffung der sog. Rechtsprechungsregeln (§§ 30, 31 GmbHG aF analog) und der sog. Novellenregeln (§§ 32a, b GmbHG aF) das bisherige Eigenkapitalersatzrecht ausschließlich dem Insolvenzanfechtungsrecht zugewiesen hat, handelt es sich bei § 135 Abs. 1 InsO nF nicht um Gesellschafts-, sondern um Insolvenzanfechtungsrecht. Das Insolvenzanfechtungsrecht aber ist ohne weiteres auf Scheinauslandsgesellschaften anwendbar. Für die hier vertretene Auffassung spricht auch, dass der Gesetzgeber in § 135 Abs. 1...