1. Erkennbare und nicht erkennbare Beschränkungen
Der Anspruch auf Akteneinsicht nach § 147 Abs. 1 StPO erstreckt sich auf alle Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der Anklage vorzulegen wären. Eine Versagung oder Beschränkung dieses Rechts ist jenseits des Anwendungsfalls von § 147 Abs. 2 StPO nicht möglich. Insb. dürfen keine schuld- und rechtsfolgenrelevanten Umstände aus der Akte ferngehalten werden. Es dürfen keine aktenkundigen Tatsachen und Umstände der Akteneinsicht entzogen werden, die bei einer Entscheidung gegen den Beschuldigten verwertet werden könnten. Die Staatsanwaltschaft sowie die Bußgeld- und Strafsachenstelle sind unter dem Grundsatz der Wahrheitserforschung sowie der Verpflichtung zur Objektivität nach § 160 Abs. 2 StPO gehalten, die Ermittlungsakte vollständig zusammenzustellen.
Versuche, Informationen der Akteinsicht zu entziehen: In der Praxis begegnet der Verteidiger jedoch auch außerhalb dieses eng abgesteckten Rahmens Versuchen, Informationen der Akteinsicht des Verteidigers zu entziehen, die für diesen möglicherweise Relevanz entfalten. Diese Versuche lassen sich in zwei Gruppen kategorisieren:
1. Die Information wird zwar von Seiten der Ermittlungsbehörden zur Akte i.S.d. § 147 StPO genommen (Aktenbestandteil), jedoch aufgrund verschiedener Begründungen – für den Verteidiger erkennbar – dem Akteneinsichtsrecht entzogen.
2. Die Information wird aufgrund behördlicher Entscheidung (dazu nachfolgend) – für den Verteidiger nicht erkennbar – nicht zur Akte genommen (kein Aktenbestandteil).
Beiden Kategorien gemein ist, dass die Behörde durch ihre Vorauswahl Informationen und damit ihre Ermittlungen der vollständigen Kontrolle des Verteidigers entzieht.
Beraterhinweis Die Behörden und das Gericht haben indes die unbedingte Verpflichtung, der Verteidigung die gesamten Unterlagen, die den Fall betreffen – unabhängig von ihrer Bewertung als be- oder entlastend –, zur Verfügung zu stellen. Es ist jedoch alleinige Aufgabe des Verteidigers, die Entscheidung darüber zu treffen, was für die Verteidigung des Beschuldigten Relevanz entfaltet; es genügt eine potentielle Beweisgeeignetheit.
2. Beschränkungen der Akteneinsicht durch behördliche Entscheidung
a) Zeitweise Beschränkungen im Ermittlungsverfahren
Im Ermittlungsverfahren kann dem Strafverteidiger bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt ist – spätestens bis zu Erhebung der Anklage – nach § 147 Abs. 2 StPO die Akteneinsicht insgesamt oder in einzelnen Teilen versagt werden, wenn die Einsicht den Untersuchungszweck gefährden kann. Hierbei handelt es sich um ein zeitweiliges Hindernis der Akteneinsicht, solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, wobei den Zeitpunkt des Abschlusses nur die Staatsanwaltschaft bzw. im Steuerstrafverfahren regelmäßig die Strafsachenstelle der Finanzbehörde selbst bestimmen kann.
Beraterhinweis Versagungsgründe des § 147 Abs. 2 StPO werden in der Praxis gelegentlich behauptet, ohne dass deren Voraussetzungen vorliegen. Ob eine solche Gefährdung des Ermittlungszwecks vorliegt, ist dabei von der Ermittlungsbehörde selbst zu beurteilen, da allein diese aufgrund der Verfahrenskenntnis abschätzen kann, ob mögliche Gefährdungen des Untersuchungszwecks vorliegen. Daher wird eine Einsicht häufig pauschal mit der Begründung abgelehnt, die Einsicht gefährde im vorliegenden Fall den Ermittlungszweck. Voraussetzung einer solchen Beschränkung muss aber immer eine tatsächliche Gefährdung des Ermittlungserfolgs durch die Akteneinsicht sein. Nach dem förmlichen Abschluss der Ermittlungen ist dieser Anspruch weder eingeschränkt noch beschränkbar.
b) Inhaltliche Beschränkungen durch Schwärzung von Akten
Steuergeheimnis: Eine inhaltliche Beschränkung erfährt die Akteneinsicht in Steuerstrafverfahren allerdings durch die häufige Praxis der Ermittlungsbehörden, Aktenteile zu schwärzen. Dabei reicht der Umfang der Schwärzung vom Namen des Anzeigeerstatters bis h...