Leitsatz
1. Die Aufbewahrung und Verwaltung von Gerichtsakten nach Abschluss eines Verfahrens ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Spruchkörpers, der mit ihm befasst war, sondern der Gerichtsverwaltung. Dementsprechend muss ggf. die Gerichtsverwaltung eine Entscheidung darüber treffen, ob einem Beteiligten nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens Akteneinsicht gewährt werden soll.
2. Das Akteneinsichtsrecht nach § 78 FGO dient allein der Prozessführung und erlischt, sobald das betreffende Verfahren endgültig abgeschlossen ist.
3. Eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Vorsitzenden, Einsicht in die Akte eines abgeschlossenen Verfahrens zu verweigern, ist jedenfalls dann nicht unzulässig, sondern unbegründet, wenn einziger Streitpunkt ist, ob wegen des rechtskräftigen Abschlusses des Verfahrens das Recht auf Akteneinsicht nach § 78 Abs. 1 FGO erloschen ist.
Normenkette
§§ 78, 128, 155 FGO, § 299 Abs. 2 ZPO, § 21 GKG
Sachverhalt
Nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens wandte sich für den unterlegenen Kläger ein neuer Bevollmächtigter an das FG und bat um Akteneinsicht; er wolle überprüfen, ob der Rechtsstreit von dem früheren Bevollmächtigten richtig geführt worden ist.
Der frühere Bevollmächtigte verweigere ihm jede Information über den Ablauf des Verfahrens. Seine Mandantschaft erwäge, diesen wegen fehlerhafter Prozessführung haftbar zu machen.
Der Vorsitzende erließ einen Beschluss, in dem er diesen Antrag ablehnte und den Kläger über das Rechtsmittel der Beschwerde belehrte. Der Kläger erhob daraufhin gegen den Beschluss Beschwerde zum BFH.
Entscheidung
Die Beschwerde ist unbegründet. § 78 Abs. 1 FGO gewährt den Beteiligten einen (Rechts-)Anspruch auf Akteneinsicht, um ihnen eine umfassende Wahrnehmung ihres Gehörsrechts zu ermöglichen.
Er setzt damit nach ständiger Rechtsprechung des BFH voraus, dass das betreffende Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist.
Nach Abschluss des Verfahrens sind die Akten freilich nicht etwa ein für allemal gänzlich im Gerichtskeller verschlossen.
Dritte können vielmehr nach § 299 Abs. 2 ZPO, der auch für die Finanzgerichtsbarkeit anzuwenden ist, von der Gerichtsverwaltung jederzeit Einsicht erhalten, was (erst recht) auch für die (ehemaligen) Beteiligten gelten muss.
Da die Rechtsmittelbelehrung des FG-Beschlusses den Kläger auf den aussichtslosen Weg einer Beschwerde zum BFH verwies, hat der BFH von der Erhebung von Kosten für das Beschwerdeverfahren nach § 21 GVG (dem früheren § 8) abgesehen, weil der Vorsitzende dieses Verfahren ohne weiteres dadurch hätte vermeiden können, dass er den Antrag des Klägers schlicht an seinen Präsidenten weiterleitet.
Hinweis
Für den Anspruch auf Einsicht in Gerichtsakten sind zwei Vorschriften einschlägig. Zum einen § 78 Abs. 1 FGO, der einen Rechtsanspruch auf Einsichtnahme gewährt (freilich nach ständiger, wenn auch nicht zweifelsfreier Rechtsprechung nicht auf Mitnahme der Akten ins Büro), der aber ein noch anhängiges Verfahren und die Beteiligung an demselben voraussetzt.
Einen darüber hinausgehenden Anspruch gewährt § 299 Abs. 2 ZPO (auch in der Finanzgerichtsbarkeit, § 155 FGO); dieser Anspruch geht allerdings nur auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht und wird nach dem Wortlaut des Gesetzes nur "Dritten" gewährt; nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens steht er aber selbstverständlich auch den (ehemaligen) Beteiligten zu, die sich jetzt mangels Anwendbarkeit des § 78 FGO in derselben Rechtslage wie "Dritte" befinden.
Beachten Sie jedoch die unterschiedlichen Zuständigkeiten: Die Einsicht in die Akten eines abgeschlossenen Verfahrens ist nicht bei dem ehemals tätigen Spruchkörper zu beantragen, sondern bei dem Präsidenten des Gerichts.
Diesem und seiner Verwaltung stünde Aufbewahrung und Betreuung der Verfahrensakten nach Abschluss des Verfahrens zu, ebenso wie andere mit der Rechtsprechung nur mittelbar zusammenhängende Aufgaben wie z.B. die Unterrichtung der Öffentlichkeit (Presse) über die Entscheidungen der Spruchkörper (wobei freilich niemand gehindert sein kann, die Öffentlichkeit selbst hiervon zu unterrichten, wenn er meint, die Gerichtsverwaltung komme dieser Aufgabe nicht oder nur unzureichend nach).
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 20.10.2005, VII B 207/05