Am 8.12.2022 veröffentlichte die Europäische Kommission Vorschläge zur Reform der "Mehrwertsteuervorschriften für das digitale Zeitalter". Das vorgestellte Paket besteht aus drei geplanten Rechtsakten und soll insbesondere den Umsatzsteuerbetrug bekämpfen und die Umsatzbesteuerung in der EU vereinfachen und modernisieren. Es enthält im Wesentlichen wiederum drei Maßnahmen: die Einführung der E-Rechnung samt einer Reform der Meldepflichten bei grenzüberscheitenden Umsätzen, den Ausbau des OSS-Verfahrens zu einer einzigen Mehrwertsteuerregistrierung im Binnenmarkt ("Single-VAT-Registration") sowie die weitere Einbindung der Plattformwirtschaft in umsatzsteuerliche Leistungsketten. Insbesondere die Einführung der E-Rechnung und die Reform der umsatzsteuerlichen Meldepflichten im grenzüberschreitenden Handel soll die sog. MwSt-Lücke verkleinern. Die MwSt-Lücke ist eine Schätzung der Gesamtdifferenz zwischen den erwarteten theoretischen Mehrwertsteuereinnahmen und dem tatsächlich eingezogenen Betrag. Sie betrug nach einem Bericht der Kommission im Jahr 2020 93 Milliarden Euro und entsteht durch MwSt-Betrug/-Hinterziehung, MwSt-Vermeidung, Insolvenzen sowie Fehlberechnungen und Verwaltungsfehler. Das Reformpaket sollte ursprünglich bereits im Jahr 2023 verabschiedet werden und zeitlich gestaffelt ab 2024 in Kraft treten. Die Verhandlungen auf EU-Ebene haben sich verzögert. Das Europäische Parlament schlägt vor, den Zeitplan insgesamt um ein Jahr nach hinten zu verschieben.
Nach der ViDA-Initiative sollen die Mitgliedstaaten künftig die Ausstellung von E-Rechnungen vorschreiben dürfen. Bislang musste hierfür eine Sondermaßnahme i.S.d. Art. 395 MwStSystRL bei der Kommission beantragt werden, um E-Rechnungen oder weitergehende Meldesysteme einzuführen. Diese Systeme können verschiedentlich ausgestaltet sein und kombiniert werden. Italien hat ein solches System bereits eingeführt und andere Mitgliedstaaten, z.B. Polen und Spanien, arbeiten an der Einführung. E-Rechnungen sollen nach dem ViDA-Vorschlag künftig insbesondere zugelassen werden, wenn sie der europäischen Norm für die elektronische Rechnungsstellung und der Liste von Syntaxen gemäß der Richtlinie 2014/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates entsprechen. Ab 2028 sollen E-Rechnungen zum Regelfall für innergemeinschaftliche Umsätze werden, die unter ein noch einzuführendes Meldesystem fallen. Dieses Meldesystem soll die bisherige Zusammenfassende Meldung (ZM) ersetzen. Es soll ein umsatzbasiertes System aufgebaut werden, in dem der Finanzverwaltung vom leistenden Unternehmer in "Quasi-Echtzeit" umfangreiche Rechnungsdaten zu den bisher über die ZM gemeldeten Umsätzen übermittelt werden. Damit einhergehend sollen die Fristen zur Rechnungsstellung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen sowie bei Umsätzen, die unter das Reverse-Charge-Verfahren fallen, stufenweise verkürzt werden ab 2025 bis zum 15. Tag des der Steuerentstehung folgenden Monats und ab 2028 auf maximal 2 Tage nach Steuerentstehung. Außerdem sollen Unternehmer den Finanzbehörden für ihre innergemeinschaftlichen Erwerbe im Erwerbsstaat dieselben Daten übermitteln wie die liefernden Unternehmer im Ursprungsland. Im Ergebnis sollen damit den zuständigen Finanzbehörden zeitnah elektronische Daten zu innergemeinschaftlichen Umsätzen vorliegen, um die vom leistenden Unternehmer mit dem vom Leistungsempfänger übermittelten Daten abgleichen und hierdurch den Umsatzsteuerbetrug eindämmen zu können.
Nach einem am 8.12.2023 vom zuständigen Ministerrat zur Kenntnis genommenen Fortschrittsbericht besteht weiterhin Diskussionsbedarf zur technischen Umsetzung des Richtlinienvorschlags im Detail. Wann und in welcher Form die ViDA-Initiative der Kommission von den Mitgliedstaaten in verbindliches Sekundärrecht umgesetzt wird, bleibt daher weiterhin abzuwarten.