a) Keine AdV von Schätzungsbescheiden mangels ernstlicher rechtlicher Zweifel an der Zulässigkeit der Schätzungsmethode
Streitig ist, ob für Schätzungsbescheide, die im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung ergangen sind, AdV zu gewähren ist. Das FG entschied:
Die Anwendung der amtlichen Richtsatzsammlung stellt nach der BFH-Rechtsprechung eine anerkannte Schätzungsmethode nach den Grundsätzen des äußeren Betriebsvergleichs dar. Soweit in dem anhängigen Revisionsverfahren X R 19/21, GmbHR 2023, 621 die Frage aufgeworfen wurde, auf welchen Grundlagen und Parametern die Richtsätze beruhen, wie sie zustande kommen und welche Auswirkungen sich hieraus auf die Tauglichkeit eines äußeren Betriebsvergleichs anhand der amtlichen Richtsatzsammlung ergeben, ergibt sich hieraus gegenwärtig noch keine konkret absehbare Abweichung von der bisherigen Spruchpraxis. Es ergeben sich mithin im summarischen Verfahren auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung von Schätzungsbescheiden gegenwärtig noch keine ernstlichen rechtlichen Zweifel an der Zulässigkeit dieser Schätzungsmethode an sich.
Schl.-Holst. FG v. 8.5.2024 – 1 V 123/23, rkr.
b) Zurückweisung einer niederländischen BV als Bevollmächtigte gem. § 80 Abs. 7 S. 1 AO
Streitig ist, ob Gesellschaften niederländischen Rechts in der Rechtsform einer B.V. mit Sitz in den Niederlanden und einem Büro in Hamburg die Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen in Deutschland haben. Die Geschäftsführer der B.V. sind in Deutschland nicht als StB, RA oder WP zugelassen und die B.V. ist nicht als Steuerberatungsgesellschaft nach § 32 Abs. 3, §§ 49 ff. StBerG anerkannt. Das FG entschied:
In dem Erfordernis, dass eine als Steuerberatungsgesellschaft anzuerkennende Gesellschaft von Steuerberatern verantwortlich geführt werden muss (§ 32 Abs. 3 S. 2 StBerG), liegt keine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV.
§ 3a StBerG verstößt nicht gegen die Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56 AEUV. Das von der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren (Az. 2018/2171) führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben der RL 2005/36/EG und 2013/22/EU umgesetzt.
FG Hamburg v. 19.3.2024 – 5 K 113/23, NZB eingelegt, Az. des BFH: VII B 52/24
c) Keine Wiedereinsetzung bei unterlassener Bearbeitung eines Klageauftrags
Das FA erließ gegenüber der K-GmbH eine zurückweisende Einspruchsentscheidung, die am 21.12.2023 beim empfangsbevollmächtigten StB einging. Am Folgetag übermittelte eine Mitarbeiterin der Kanzlei unter ihrer personalisierten E-Mail-Adresse die Einspruchsentscheidung an die K-GmbH und wies im Begleitschreiben auf den Ablauf der Klagefrist am 22.1.2024 hin. Dieses Schreiben wurde jedoch erst am 27.12.2023 versandt. Die K-GmbH hatte aber bereits am 22.12.2023 nach Büroschluss an die personalisierte E-Mail-Adresse der Mitarbeiterin mit den Worten "Moin, bitte Klage einreichen" geantwortet. Der StB erhob für die K-GmbH am 26.1.2024 – und damit nach Ablauf der Klagefrist – Klage und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Der K-GmbH sei keine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist zu gewähren, da sie die Frist nicht ohne Verschulden versäumt habe.
Zunächst sei der K-GmbH ein Organisationsverschulden ihres StB zuzurechnen. Dieser habe nicht hinreichend dargetan, welche Organisationsmaßnahmen in seiner Kanzlei getroffen worden seien, damit Fristen zuverlässig überwacht und eingehalten werden. Wenn – wie im Streitfall – eine Mitarbeiterin ihre personalisierte E-Mail-Adresse zur Verfügung stelle, sei es erforderlich, Regelungen zur Nutzung und Weiterleitung von E-Mails zu treffen. Ferner hätten Vertretungsregelungen für den Urlaubs- oder Krankheitsfall dargelegt werden müssen. Dass die Kernfrage, warum der Klageauftrag den zuständigen Sachbearbeiter nicht erreicht habe, auch nach Angaben des Prozessvertreters nicht aufklärbar sei, gehe zu Lasten der K-GmbH.
Auch ein eigenes Verschulden der K-GmbH sei nicht auszuschließen. Da sie das Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten mit der Bitte um Nachricht, ob Klage erhoben werden soll, erst nach Erteilung ihres Klageauftrags erhalten habe, hätte es einer weiteren Nachfrage bedurft.
FG Münster v. 20.6.2024 – 5 K 150/24 U
d) Ermessensentscheidung hinsichtlich der Bekanntgabe von Verwaltungsakten bei Bestellung mehrerer Empfangsbevollmächtigter
Streitig ist, wem das FA einen Verwaltungsakt bekanntgeben darf, wenn nebeneinander zwei Empfangsvollmachten vorliegen. Das FG entschied:
Ein Empfangsbevollmächtigter: Gibt das FA einen Verwaltungsakt dem Steuerpflichtigen bekannt, obwohl es ihn dem Bevollmächtigten hätte bekanntgeben müssen, ist die Bekanntgabe mit der Folge unwirksam, dass die Einspruchsfrist nicht zu laufen beginnt. Der Bekanntgabemangel wird erst durch Weiterleitung an den Empfangsbevollmächtigten geheilt.
Mehrere Empfangsbevollmächtigte: Hat der Steuerpflichtige mehrere Empfangsbevollmächtigte bestellt, hat das FA bei der Frage, welchem Bevollmächtigten ein Verwaltungsakt bekanntzugeben ist, eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung zu treffen, die im finanzgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt – nämlich auf Ermessensfehler – überprüfbar ist.
Ermessen: Das A macht von dieser Ermessensermächtigung in einer nicht ihrem Zweck entsprechenden Weise Gebrauch, we...