a) Inanspruchnahme des GF bei Auszahlung der Nettolöhne
Falls die zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen Löhne einschließlich des Steueranteils nicht ausreichen, darf der GmbH-GF die Löhne nur gekürzt auszahlen und muss aus den übrig gebliebenen Mitteln die darauf entfallende Lohnsteuer an das FA abführen. Das gilt auch dann, wenn zwar vor dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt der Lohnsteuer beim Insolvenzgericht ein Antrag eines Gläubigers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH eingegangen ist und der Insolvenzverwalter später möglicherweise eine tatsächliche erfolgte Lohnsteuerabführung nach §§ 129 ff. InsO hätte anfechten können, jedoch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. die tatsächliche Eröffnung des Insolvenzverfahren erst nach dem Fälligkeitszeitpunkt erfolgt ist.
Die Haftung ist auch nicht ausgeschlossen, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist fällt, die dem GF zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gem. § 15a Abs. 1 S. 1 InsO a.F. (bis zum Inkrafttreten der InsO: § 64 Abs. 1 S. 1 GmbHG) eingeräumt ist.
Grobe Fahrlässigkeit: Es ist von einem zumindest grob fahrlässigen Verhalten (Unterlassen) des GF im Hinblick auf die Verletzung der Abführungsverpflichtung der Lohn- und Annexsteuern zum Fälligkeitstag auszugehen, wenn ihm aufgrund seiner mehrjährigen GF-Tätigkeit klar sein muss, dass die personal- und lohnintensive Geschäftstätigkeit der GmbH umfängliche monatliche Anmeldungs- und Abführungsverpflichtungen gegenüber den Sozialkassen und dem Betriebsstätten-FA nach sich zieht, und wenn die GmbH gleichwohl erkennbar ihre sozial- und steuerrechtlichen Pflichten fortlaufend nicht korrekt erfüllt hat, so dass kein einmaliges, sondern fortgesetztes Fehlverhalten des GF vorliegt.
FG Berlin-Bdb. v. 28.9.2021 – 4 K 4006/21, rkr. (Rücknahme der NZB: VII B 175/21)
b) Auswahl- und Entschließungsermessen bei vorgeworfenen Schwarzlohnzahlungen
Soweit Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Gesamtschuldner für die LSt-Schuld des Arbeitnehmers einstehen müssen, steht dem Betriebsstätten-FA ein Auswahl- und Entschließungsermessen zu. Dabei betrifft das Entschließungsermessen die Frage, ob nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer geltend gemacht werden soll. Im Rahmen des Auswahlermessens ist zu entscheiden, wer von mehreren Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften, in Anspruch genommen wird.
Im Rahmen des Entschließungsermessens hat das FA unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu prüfen, ob der Arbeitgeber überhaupt in Haftung genommen werden soll. Bei einer grob leichtfertigen oder gar vorsätzlichen LSt-Verkürzung durch den Arbeitgeber ist das Ermessen in der Weise vorgeprägt, dass es im Regelfall recht und billig erscheint, wenn ihn die Finanzbehörde für den Steuerschaden in Anspruch nimmt.
Steht im Falle namentlich bekannter Arbeitnehmer leicht überprüfbar und sicher fest, dass sie mit den Einkünften, hinsichtlich derer der LSt-Abzug unterblieben ist, vollständig und ordnungsgemäß – wenn auch i.R.d. unselbständigen Besteuerungsgrundlagen (§ 157 Abs. 2 AO) fälschlicherweise aufgrund von Einkünften aus Gewerbebetrieb – zur ESt veranlagt wurden, ist der Arbeitgeber, der die Lohnsteuer leichtfertig oder gar vorsätzlich verkürzt hat, zwar strafrechtlich zu belangen, nicht aber in Haftung zu nehmen.
Kann die LSt vom Betriebsstätten-FA bei den Arbeitnehmern als Steuerschuldnern noch erhoben werden und steht dem auch § 42d Abs. 3 S. 4 EStG nicht entgegen, ist der Arbeitgeber nachrangig heranzuziehen, wenn wenige namentlich feststehende Arbeitnehmer betroffen sind und deren Einkünfte wahrscheinlich unter der steuerpflichtigen Grenze liegen. Das gilt allerdings nur, wenn das Verhalten des Arbeitgebers bei der Versäumung des Steuerabzugs nicht grob leichtfertig oder gar vorsätzlich war (BFH v. 15.11.1974 – VI R 167/73, BStBl. II 1975, 297).
Ermessensfehlgebrauch: Sind von streitigen Schwarzlohnzahlungen 95 % an mit vollem Namen bekannte Arbeitnehmer erfolgt, so ist es ermessensfehlerhaft, wenn das FA keinen ernsthaften Versuch unternommen hat, festzustellen, ob diese Personen mit den haftungsgegenständlichen Lohneinkünften zur ESt veranlagt worden sind.
Sächs. FG v. 16.12.2021 – 8 K 623/21
c) Ausübung des Auswahlermessens
Streitig ist, welche Anforderungen an die Ausübung des Auswahlermessens in einem Haftungsbescheid zu stellen sind. Das FA nahm für KSt- und GewSt-Rückstände 2015 die damalige Geschäftsführerin in Anspruch. Im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Haftungsbescheides hatte diese ihr Geschäftsführeramt bereits niedergelegt.
Das FG entschied, dass die Ermessensentscheidung der Finanzbehörde im Haftungsbescheid – spätestens aber in der Einspruchsentscheidung – begründet werden muss (vgl. § 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO); anderenfalls ist sie im Regelfall fehlerhaft. Eine fehlende Begründung legt die Annahme der Ermessensunterschreitung oder gar eines Ermessensausfalls nahe.
Im Rahmen des Auswahlermessens hat die Behörde Überlegungen anzustellen,
- ob neben dem in Anspruch genommenen Haftungssch...