a) Unternehmereigenschaft einer Holding
Rechtsfrage: Reicht eine Darlehensgewährung der Muttergesellschaft an die Tochtergesellschaften auch dann für die Beurteilung der Muttergesellschaft als umsatzsteuerrechtliche Unternehmerin aus, wenn die Muttergesellschaft gegenüber den Tochtergesellschaften keine wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübt, deren Ergänzung die Darlehensgewährung sein kann?
Das FG entschied, dass eine Holdinggesellschaft, die Kapital einsammelt und in Form verzinslicher Darlehen an Tochtergesellschaften weitergibt, damit diese selbst oder durch Enkelgesellschaften etc. ein operatives Geschäft aufbauen können, nicht unternehmerisch i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG tätig wird, wenn die Holdinggesellschaft gegenüber den Tochtergesellschaften ansonsten keine wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübt, deren Ergänzung oder notwendige Erweiterung die Darlehensgewährung sein kann.
Entgeltlich an Enkelgesellschaft erbrachte Beratungsleistungen: Die Holdinggesellschaft ist aber insoweit Unternehmerin i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG, als sie entgeltlich Beratungsleistungen an eine Enkelgesellschaft erbringt. Beachten Sie: Einmalig entgeltlich an eine Enkelgesellschaft erbrachte Beratungsleistungen führen nicht zu einer wirtschaftlichen Eingliederung der Enkelgesellschaft als Voraussetzung für eine umsatzsteuerliche Organschaft.
FG Berlin-Bdb. v. 14.6.2021 – 7 K 7011/19, Rev. eingelegt, Az. des BFH: V R 30/21
b) Vorsteuerberichtigungsanspruch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Streitig ist,
- ob eine Steuerberechnung einen Verwaltungsakt darstellt;
- ob im Streitfall die Voraussetzungen für eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 UStG gegeben sind und
- ob es sich bei der daraus resultierenden Zahllast um eine Masseverbindlichkeit handelt.
Das FG entschied:
- Eine Steuerberechnung ist eine formlose Mitteilung an den Insolvenzverwalter.
- Die USt- und VorSt-Berichtigung sind nach § 17 Abs. 1 S. 1 und 2 UStG bedingungslos und zeitgleich vorzunehmen.
- Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 InsO liegen bereits bei einem sonstigen Bezug zur Insolvenzmasse vor.
FG Nds. v. 19.8.2021 – 11 K 133/20, Rev. eingelegt, Az. des BFH: V R 29/21
c) Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft
Die Unternehmereigenschaft des Organträgers gehört nach ständiger BFH-Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Organschaft.
Unionsrechtskonforme Auslegung des Begriffs der "juristischen Person": Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass der Begriff "juristische Person"auch Personengesellschaften umfassen kann. Die bislang praktizierte Einschränkung des V. Senats des BFH und der Finanzverwaltung (Abschn. 2.8 Abs. 5a UStAE), dass eine Personengesellschaft nur dann unter den Begriff der juristischen Person fällt, wenn an der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen beteiligt sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, hat der EuGH mit Urt. v. 15.4.2021 – C-868/19, HFR 2021, 726 zurückgewiesen. Aus der Entscheidung ergibt sich, dass – unabhängig von der Art der Personengesellschaft und dem Gesellschafterkreis – eine umsatzsteuerliche Organschaft möglich ist, sofern die finanzielle Eingliederung dieser Gesellschaft in den Organträger nachgewiesen ist.
FG Münster v. 26.4.2022 – 15 K 137/18 U, Rev. eingelegt, Az. des BFH: V R 8/22
d) Vorläufige Insolvenzverwaltung: Keine Verrechnung von Vorsteuerüberhängen mit später entstandenen Steuerschulden
Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 4 InsO in der für das Streitjahr geltenden Fassung vom 20.12.2011). Nach der BFH-Rechtsprechung sind i.R.d. § 55 Abs. 4 InsO auch Vorsteuerbeträge abzuziehen, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind und daher i.R.d. Steuerberechnung für die § 55 Abs. 4 InsO unterliegenden Voranmeldungszeiträume masseverbindlichkeitsmindernd wirken (BFH v. 24.9.2014 – V R 48/13, UStB 2015, 4 [Fritsch] = BStBl. II 2015, 506; BFH v. 23.7.2020 – V R 26/19, GmbHR 2021, 726 = BFH/NV 2021, 146).
Offen gelassen hatte der BFH im Verfahren V R 26/19 dagegen die weitere Frage, ob ein nach der Saldierung gem. § 16 Abs. 2 S. 1 UStG verbleibendes Vorsteuerguthaben aus dem Zeitraum der vorläufigen Verwaltung
- in die erste Voranmeldung nach Eröffnung vortragsfähig und
- mit Umsatzsteuern aus Lieferungen und Leistungen nach Insolvenzeröffnung saldierungsfähig ist.
Nach Ansicht des erkennenden Senats ist das auf den Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung fallende Vorsteuerguthaben nicht i.R.d. Unternehmensteils Insolvenzmasse gegenüber dem Insolvenzverwalter (als Kläger) festzusetzen (Anschluss an FG Münster v. 26.1.2017 – 5 K 3730/14 U, UStB 2017, 199 = EFG 2017, 614).
FG Rheinland-Pfalz v. 6.12.2021 – 6 K 2185/20, Rev. eingelegt, Az. des BFH: XI R 1/22